Der jüdische Publizist Michel Friedman will nach eigenen Worten die deutschen Bürgerinnen und Bürger dafür sensibilisieren, wie toll es ist, frei zu sein. “Es gibt so viele Entscheidungen, die wir dauernd treffen dürfen, ohne überhaupt nachzudenken, was es bedeutet, sie treffen zu dürfen”, sagte der 69-Jährige der “Süddeutschen Zeitung”. Die Trägheit der Leute, sich nicht endlich mehr für die Demokratie einzusetzen, bereite ihm Schmerzen.
“Wir, die für Aufklärung, Freiheit, Demokratie und Respekt stehen, wir sind immer noch die Mehrheit. Aber wenn wir nichts tun, sind wir es nicht mehr lange”, sagte Friedman. Der Korridor der Zeit sei maximal verkürzt. “Bis zur vorletzten Sekunde bin ich dabei”, versprach der Publizist. Er verwies auf eine Umfrage, wonach 60 Prozent der Deutschen damit rechneten, dass im nächsten Jahr ein AfD-Ministerpräsident gewählt werde. “Das klingt, als hätten sie bereits aufgegeben, das ist unaufhaltsam. Was für ein Offenbarungseid.”
Friedman sieht Demokratie in Ostdeutschland bedroht
Laut Friedman ist die Demokratie in Ostdeutschland strukturell von autoritären Rechtsextremisten, Antidemokraten und ihren Wählerschichten bedroht. In seinem neuen Buch “Mensch!” setze er nicht auf Appelle oder Predigten, sondern versuche, Sachverhalte zu erklären, sie zu interpretieren und daraus Handlungsversuche zu formulieren. Er hoffe, dass seine Inhalte Gehör fänden. Seine Rede im hessischen Landtag hätten auf Youtube Hunderttausende Menschen gehört – “und das sind junge Menschen”.
Dennoch ist Friedman nicht in den sozialen Medien aktiv. Er halte diese für “ein brutales Instrument des Kapitalismus”. Algorithmen machten aus allem, was inhaltlich beschrieben werde, eine kommerziell zugespitzte Ware. “Sie verkaufen uns, denn sie haben nichts dagegen, dass Mächte wie Russland, aber auch China, mit ihnen unsere Demokratien angreifen.” Tiktok sei eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite. Sie lasse ihre Konsumenten manipulieren und verdummen. “Für Tiktok und Instagram werde ich nicht anfangen zu singen oder zu tanzen”, so der Publizist.
Laut Friedmann ist auch die soziale Gerechtigkeit eine Grundlage der Demokratie. “Denn die Würde des Menschen hat auch etwas mit Armut zu tun.” Wer darauf in einer Gesellschaft nicht Wert lege, habe nicht verstanden, was Demokratie bedeute. “Wenn wir ärmere Menschen unterstützen, tun wir ihnen nicht etwa einen Gefallen. Das sollte unser Selbstverständnis sein”, hob der Publizist hervor. Von Oskar Schindler habe er gelernt: “Redet weniger, tut mehr. Geh einen Schritt mehr, stärke dein Rückgrat.”
Der Unternehmer Schindler rettete während des Zweiten Weltkriegs über 1.000 Zwangsarbeiter vor der Ermordung in NS-Vernichtungslagern. Darunter waren auch die Eltern von Friedman.
