„Menschen brauchen Stabilität“

Seit Anfang des Jahres leitet Pfarrer Matthias Scheufele das Zentrum für Dialog und Wandel der EKBO in Cottbus-Kahren. Die Einrichtung begleitet den Strukturwandel im Braunkohlegebiet Lausitz mit dem Ziel, den Austausch zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu suchen, aber auch den Ängsten und Sorgen der Menschen vor Ort seelsorgerlich zu begegnen. Zu tun gibt es immer etwas. Ganz aktuell steht der begonnene Abriss von Gebäuden im Dorf Mühlrose im Mittelpunkt (siehe Seite 7). Stefanie Krautz sprach mit Pfarrer Scheufele über seine ersten Monate vor Ort

Herr Pfarrer Scheufele, wie sind Sie in Kahren angekommen?

Ich wirke seit Januar im Zentrum für Dialog und Wandel als Leiter, und lebe auch hier. Ich habe inzwischen Menschen kennengelernt, seelsorgerlich gewirkt und an Tagungen teilgenommen, bei denen es beispielsweise um den Strukturwandel in Großbritannien ging.  Folgenreicher war der dritte Trialog von Gesine Schwan (Humboldt-Viadrina Governance  Platt- form gGmbH) Anfang Januar über Formen der Bürgerbeteiligung in der Lausitz. Die Corona-Zeit hat meine Arbeit nicht einfacher gemacht. Kontakte fanden online und am?Telefon statt, was nicht unproblematisch war. Dem Zentrum, mir, geht es um die Unterstützung aktiver Laien im Strukturwandelprozess. Da kann man durchaus auch zum Seniorentreff gehen, wo die Menschen sofort anfangen darüber zu sprechen, wie sie den Strukturbruch in den 1990er Jahren erlebt und erfahren haben.

Ich bin aber auch als Seelsorger ansprechbar, Menschen müssen sich ja aussprechen können, und habe Gottesdienste gehalten. Das nächste konkrete Vorhaben ist die Gründung einer Bürgerregion in Hoyerswerda am 19. September, daran ist das Zentrum beteiligt. 

Sind Sie im Gespräch mit Menschen, die in der Kohleindustrie tätig waren oder sind? 

Ja, ich habe Bergleute kennengelernt und ihre individuellen Strategien, mit der Abkehr von der Braunkohle umzugehen. Menschen brauchen Stabilität. Viele sind auf der Suche.

Wie ist die Stimmung in der Lausitz, was den Strukturwandel betrifft?

Anders, als man von außen denkt. Ich bin ja Berliner, und in Berlin weiß man genau, was in der Lausitz gemacht werden muss. Der Abstand von Berlin und Potsdam zur Lausitz ist sehr groß, auch kirchlicherseits. 

Ich bin in der DDR aufgewachsen und weiß: Damals war der Staat Projektionsfläche, er sollte sich „kümmern“. Heute geht es mehr um das eigene Handeln. Das ist noch nicht komplett angekommen. Was mir auch aufgefallen ist: Ökologisch denkende Menschen gelten in Cottbus noch als oppositionell, obwohl die Grünen jetzt in der Landesregierung sind. 

Ich habe durchaus Kontroversen rund um das Thema Braunkohle erlebt. Hier in Brandenburg, genauer in Proschim, ist die Lage nach dem Koalitionsvertrag im letzten November etwas ruhiger und weniger angespannt. 

Meinen Sie, dass die Akzeptanz für den Strukturwandel gewachsen ist? 

Die Gestaltung des Strukturwandels ist eine komplexe Angelegenheit. Wir bemühen uns, auch die Zivilgesellschaft und uns als Kirche mit einzubeziehen, Bürgerbeteiligung mitzudenken. Mittlerweile wollen viele den Strukturwandel mitgestalten: dafür fließt jetzt Geld, da kommen viele ­Interessenten hinzu.