Meisterwerke von Kirchner bis Picasso – gerettet vor den Nazis

Mit der Ausstellung „Die gerettete Moderne“ ehrt das Berliner Kupferstichkabinett nicht nur bedeutende Künstler, sondern auch den Mann, der ihre Werke 1937 vor den Nazis schützte.

Im Jahr 1937 erklärten die Nazis den Künstlern den Krieg: Im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ entfernten sie zahlreiche Werke, die man heute zur klassischen Moderne zählt, aus deutschen Museen. Auch die Bestände des Berliner Kupferstichkabinetts waren davon betroffen. Die Nazis sahen in den überwiegend expressionistischen Kunstwerken nur Dekadenz und träumten von einer „Reinigung des Kunsttempels“. Der damalige Kustos des Museums, Willy Kurth (1881-1963), leistete gegen diese Zerstörungswut heimlich Widerstand.

Der promovierte Kunsthistoriker rettete mit zwei Helfern Hunderte von Grafiken vor dem drohenden Verlust. So versteckte er an die 800 wertvolle Werke von Edvard Munch, Käthe Kollwitz, Ernst Ludwig Kirchner, Wassily Kandinsky, Otto Dix und George Grosz, aber auch Werke von Paul Gauguin, Henri Matisse, Georges Rouault, Pablo Picasso und vielen anderen vor dem Zugriff der Nazis.

Darunter waren Kunstwerke, die eigentlich schon von den Nazis beschlagnahmt worden waren – allerdings ohne die Namen der Maler und die Werktitel genau festzuhalten. Das war Kurths Chance. Werke, die der Museumsmitarbeiter unbedingt retten wollte, gab er als „verschollen“ oder mit „Doublette abgegeben“ an und entfernte sie aus dem nationalsozialistischen „Sammelhaufen“. Dafür fügte er andere Werke hinzu. Weniger bedeutsame Kunst, aus seiner Sicht. Mit diesem Trick entgingen die Werke der von ihm verehrten Künstler der Zerstörung.

Viele dieser Lithographien und Radierungen sind ab Freitag in der Ausstellung „Die gerettete Moderne. Meisterwerke von Kirchner bis Picasso“ im Berliner Kupferstichkabinett zu sehen. Einen großen Anteil daran hat auch Anita Beloubek-Hammer, die langjährige Kuratorin für die Moderne am Kupferstichkabinett. Zehn Jahre hat sie rund um den verborgenen Kunst-Rettungsdienst von Kurth geforscht. Nachzulesen ist das in ihrem 2023 erschienenen Buch „Die Aktion Entartete Kunst 1937 im Berliner Kupferstichkabinett. Kustos Willy Kurth rettet Meisterblätter der Moderne“.

Beloubek-Hammer hat die von Kurth geretteten Kunstwerke in Ost und West aufgespürt. Eine Detektivarbeit, wie sie bei der Ausstellungspräsentation am Donnerstag inmitten der Werke sagte. Kurth habe verständlicherweise alles getan, um keine Spuren zu hinterlassen. Auch nach dem Krieg.

Denn nicht nur zu den Nazis sei Kurth während der ganzen Zeit in Opposition gewesen, auch mit der sowjetischen Kunst-Doktrin habe er als „Linker mit bürgerlicher Herkunft“ nicht viel anfangen können. Diese sei ihm zu formalistisch gewesen, wie Beloubek-Hammer betonte. Trotzdem machte er in der DDR eine Karriere als Professor für Kunstgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität und als Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten in Potsdam-Sanssouci. Seinen Studenten hinterließ er einen kryptischen Satz: „Auf mein Grab schreibt einmal nicht, was ich getan, sondern was ich verhindert habe.“

Was er damit meinte, kann man anhand der rund 95 ausgewählten Arbeiten der Ausstellung, die bis zum 21. April läuft, nun sehen: ob es sich um eine Lithographie von George Grosz handelt, auf der grimmige Arbeiter und Kriegsinvaliden zu sehen sind, einen düsteren Holzschnitt von Käthe Kollwitz im Gedenken an den ermordeten Karl Liebknecht oder eine „Große Auferstehung“ genannte Kaltnadelradierung von Wilhelm Lehmbruck, bei welcher der Duisburger Künstler mit wenigen Leibesstrichen ein kollektives Hinübertreten in einen neuen Seinszustand festhält.

Alle diese druckgrafischen Einzelblätter und Mappenwerke sind thematisch verbunden durch ein Gespür für menschliches Leid, Hoffnung und soziale Gerechtigkeit sowie die Intention, Schwarz- und Grautöne experimentell auszutarieren. Was die Künstler nicht ahnen konnten: Alle Werke sind auch verbunden durch den Mut und die Zivilcourage von Willy Kurth.