Mehr Vielfalt in den Gremien

Im November werden in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) neue Älteste für die ­Gemeindekirchenräte gewählt. Darüber hinaus gibt es viele Gremien in Kirchenkreisen und Landeskirche wie Synoden oder Ausschüsse, um die kirch­liche Arbeit gut auf­zu­stellen. Wie müssten Gremien strukturiert sein, damit ihre Mitglieder gern mitarbeiten und sie die Vielfalt der Kirchenmitglieder repräsentieren? Sibylle Sterzik hat ­Kristian Gaiser, Gleichstellungsbeauftragter der EKBO, und André Becht, Studienleiter für Leben in Vielfalt im Amt für kirchliche Dienste der EKBO, ­danach gefragt. Sie haben die neue Broschüre „Weil unsere Vielfalt ein Reichtum ist. ­Gremienkultur stärken“ verfasst.

Kristian Gaiser und André Becht, Sie haben gemeinsam eine Broschüre zum Thema Vielfalt in Gremien herausgegeben. Welches Anliegen verfolgen Sie damit?

Kristian Gaiser: Kirche und die Menschen, die dort aus- und ein­gehen und mitmachen, sind sehr verschieden, haben unterschiedliche Interessen und Ideen, auch unterschiedliche Glaubensvorstellungen und Prägungen. Doch alle sollen ja ihren Platz in der Kirchengemeinde finden und auch entsprechende ­Angebote finden dürfen. Diese Vielfalt sollte dann möglichst auch bei den Mitarbeitenden und in den ­Entscheidungsgremien abgebildet werden.

Sind kirchliche Gremien ­geschlechtergerecht und bilden diese die Vielfalt der Kirchen­mitglieder eigentlich schon ab? Oder sind meist dieselben Milieus und Altersgruppen vertreten?

André Becht: Kirchliche Gremien sind einerseits vielfältiger, als wir oft denken. Mein Eindruck ist, dass ­Kirche sehr wohl Vielfalt zulässt ­beziehungsweise offen dafür ist und diese auch lebt. Nur habe ich den Eindruck, dass andererseits gerade in Gremien, dort wo auch die ­Entscheidungen getroffen werden, noch sehr viel Luft nach oben ist. Wichtig dabei: In vielen Gremien oder Beiräten arbeiten nicht nur ­engagierte Kirchenmitglieder, sondern auch Expert:innen aus der Nachbarschaft, aus dem Arbeitsfeld. Und diese tragen zur Lebendigkeit gelebter Gemeinschaft bei.

Wie viele Frauen, People of Color, Alleinerziehende, Berufstätige, junge Menschen, Ruheständler arbeiten in der EKBO in Gemeindekirchenräten mit? Gibt es darüber eine Erhebung?

Kristian Gaiser: Nach Zahlen wird immer wieder gefragt, und als Gleichstellungsbeauftragter weiß ich um die Wirksamkeit der Argumente, wenn das Verhältnis der Geschlechter, das Alter oder aber die beruf­liche und familiäre Situation auch quantitativ abgebildet werden kann. Doch eine Erhebung im Sinne der ­beschriebenen Vielfalt gibt es leider nicht für alle Gemeindekirchenräte. Ich weiß aber, dass im Jahr 2019 der Anteil der Frauen in den Gemeindekirchenräten (GKR) bei 53,7 Prozent lag. Bei den Kreissynoden liegt aber der Anteil dann nur noch bei 45,1 Prozent, der Anteil der aus den Kirchenkreisen in die Landessynode entsandten Frauen ist noch geringer.

Vielfalt ist ein Reichtum. Inwiefern? 

André Becht: Vielfalt ist Reichtum, weil Vielfalt leben auch Schätze heben heißt: Die Auseinander­setzung mit ­Diversität birgt einen großen Schatz, da sie den Weg zu spannenden und ­bereichernden Lernräumen eröffnet sowie neue Entwicklungspotenziale für die kirchliche Praxis bereithält. Aushandlungsprozesse von Verschiedenheit und die Erprobung neuer ­Formen der solidarischen Teilhabe stehen ja im Zentrum jeden Miteinanders. Das kann aber nur ­gelingen, wenn wir aufeinander ­zugehen und zuhören. Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit bestehenden Barrieren und unterschiedlichen ­Diskriminierungs­formen.

Wovon profitieren Gremien, die verschiedene Gruppen repräsentieren?

André Becht: Diversität schließt für mich Wertschätzung von ­Verschiedenheit ein. Wenn wir den Umgang damit einüben, verringern sich bestehende Unsicherheiten und Ängste und wir gewinnen an Selbstvertrauen im Miteinander. Durch das Aufspüren von Gemein­sam­keiten finden wir zu einer neuen Sprache und neuen Formen der ­Verbundenheit. So können andere Identifikationsräume eröffnet oder bestehende erweitert werden. ­Fragen hierzu wären zum Beispiel: Welche Bedürfnisse teilen wir? Wie wollen wir miteinander leben? Wo wollen wir gemeinsam hin? Was ­leitet uns dabei?

Die Auseinandersetzung mit und das Einüben des Umgangs mit Vielfalt ist ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche und lebendige Willkommenskultur. Studien haben außerdem gezeigt, dass ein sich ­Einlassen auf Vielfalt einen wichtigen Beitrag zu einem zufriedenen Gemeinwesen leistet.

Wie müsste sich die Gremienkultur verändern, damit mehr Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt ­möglich wird? Damit berufstätige Menschen, junge Leute, Allein­erziehende oder Eltern mit kleinen Kindern und Menschen gleich ­welcher Herkunft mitarbeiten ­können?

Kristian Gaiser: Ich denke, das Wichtigste für ein gut arbeitendes Gremium ist eine Art Willkommenskultur dahingehend, dass auf ­Bedürfnisse von Mitgliedern ein­gegangen wird und nach Kompromissen gesucht wird. Zum Beispiel können Sitzungszeiten verändert werden. Und dass neue Ideen und Gedanken nicht versanden, indem gesagt wird: „Das war schon immer so! Daran ­müssen Sie sich aber gewöhnen!“ Vorrangiges Ziel sollte sein, Hinzugekommene stark zu ­machen, damit Gemeinde stark ­werden kann. 

Macht Gremienarbeit Spaß? ­Sitzungszeiten bis Mitternacht, viele Struktur-, Finanz- und ­Baufragen – bleiben da Glaube und Spiritualität auf der Strecke?

Kristian Gaiser: Gremienarbeit ­bedeutet Freude am Gestalten und am Mitwirken, Freude an Verantwortung, ganz gleich, ob ich Tradition pflegen oder aber Innovation ­vorantreiben möchte. Kirche muss jeden Tag neu mit Leben gefüllt ­werden. Sie braucht Menschen, auch in den Gremien, die Glaube vor Ort leben, das Engagement mit ihrem Privatleben vereinbaren können und zu einem vielfältigen Miteinander einladen. 

Eine gute Leitung und Moderation ist wichtig. Worauf ist da zu achten?

André Becht: Eine mitmenschliche Grundhaltung, die Bereitschaft zum Zuhören und zum Perspektiv­wechsel. Räume zur Selbstreflektion sind ebenfalls wichtig. Und dies ­sowohl in Bezug auf jedes einzelne Leitungsmitglied für sich selbst als auch auf den Austausch darüber im Team und sogar über das Gremium hinaus. Fragen, die damit zusammenhängen, wären zum Beispiel: Was kann ich leisten, wo sind meine Grenzen, was brauche ich, damit mir das Engagement Spaß macht? Was ist das Besondere und Positive an dieser spezifischen Gremienarbeit? Kommen Sie darüber mit Außen­stehenden ins Gespräch. Und ein letzter Punkt, der nicht zu unterschätzen ist, sind Räume für visionäre Ideen, in denen gemeinsam das große Ganze in den Blick genommen wird.

Meinungsverschiedenheiten in Sachfragen, fehlende Sympathie, ungeklärte frühere Konflikte haben schon manchen GKR zer­rüttet. Wie helfen Kommunikationsregeln, Streit- und Feedbackkultur dabei, Konflikten vorzu­beugen und sie zu lösen? 

André Becht: Konflikte sind nicht gleichbedeutend mit Scheitern, ­sondern erstmal etwas völlig Normales. Sie sind energiegeladen und diese Energie kann ja auch positiv genutzt werden, indem neue Wege beschritten werden. Wenn Konflikten nicht nur defizitär begegnet wird, sondern sie als Chance gesehen werden, fällt es leichter anzu­erkennen, dass etwas nicht rund läuft. In Beratungsgesprächen kann dann gemeinsam geschaut werden, wo genau der Schuh drückt und welche Lösungswege und Methoden sinnvoll sind. 

In Gremien werden Mitglieder oft für eine lange Zeit gewählt. Stellt langfristige Bindung eine Hürde dar bei der Kandidaten­findung, oder warum sprechen Sie in der Broschüre eine Kultur des Wechsels an?  

Kristian Gaiser: Das Beständigste im Leben ist wohl die Veränderung, und dies gilt auch für Kirche. Die sich stets ändernde Gemeinschaft der ­Suchenden und Glaubenden in einer Kirchengemeinde sollte sich auch in den Gremien wiederspiegeln. Dabei sollte aber eine weitreichende Ein­ladung zur Mitarbeit über die Gremienarbeit hinausgehen. Manch eine oder einer übt sich am liebsten in Gastlichkeit und organisiert das Kirchencafé. Andere wiederum reparieren gerne oder bauen die Bühne beim Gemeindefest auf. Eine besondere Gemeinde braucht viele besondere Menschen am besonderen Ort. Zum Glück sind Gottes wunderbare Menschenkinder und deren Talente so bunt und vielfältig wie alle unsere Kirchengemeinden und ihre Aufgabe, nämlich beim Menschen sein, den Menschen eine Hilfe, eine Stütze durch das Wort Gottes sein.

Die Broschüre „Weil unsere Vielfalt ein Reichtum ist. Gremienkultur stärken“ finden Sie online hier: 

https://akd-ekbo.de/leben-in-vielfalt/gremienkultur/

Kontakt :

André Becht, Studienleitung Leben in Vielfalt im Amt für kirchliche Dienste (AKD), Tel.: (0170)2296610, E-Mail: a.becht@akd-ekbo.deKristian Gaiser, Gleichstellungsbeauftragter der Landeskirche, Tel.: (030)24344380, E-Mail: k.gaiser@ekbo.de