Mehr Solo-Frauen wollen ein Kind

Jeder Fall ist anders. Das Thema des unerfüllten Kinderwunsches hat viele Facetten – und das nicht nur im medizinischen Bereich. Auch psychosoziale Probleme spiele eine Rolle. Familien, die ein Kind bekommen wollen, aber auch Spender oder die Fachkräfte haben ungeklärte Fragen. Es geht um Kostenübernahmen genau wie um Gefühlsachterbahnen. Daher befasst sich ein Projekt an der Evangelischen Hochschule Nürnberg seit einiger Zeit mit dem Aufbau des „kompki“, eines „Kompetenzzentrums Kinderwunsch“, das vom Bundesfamilienministerium gefördert wird und bundesweit agieren soll. Projektleiterin ist die Nürnberger Professorin für Heilpädagogik, Birgit Mayer-Lewis.

epd: Warum halten Sie denn ein solches Kinderwunsch-Kompetenzzentrum für notwendig?

Birgit Mayer-Lewis: Es gibt in Deutschland zwar Expertise in den verschiedenen Disziplinen, die sich mit dem unerfüllten Kinderwunsch befassen, aber die ist wenig vernetzt. Für Betroffene ist das nachteilig, weil sie sich die Informationen zusammensuchen müssen. Es fehlt aber nicht nur für sie die Versorgung, sondern auch die Infrastruktur für Fachkräfte. Und es fehlt die Sensibilisierung dafür, dass auch die Unterstützung brauchen, die mit medizinischer Hilfe ein Kind bekommen haben.

epd: Sind alle diese Themen erst in den vergangenen Jahren deutlich geworden?

Mayer-Lewis: Die erste In-vitro-Fertilisation in Deutschland war 1982 in Erlangen. Zu der Zeit gab es in Deutschland rund 750 bis 800 Behandlungen im Jahr. Heute gibt es über 120.000 Behandlungen. Und da sind die Paare, die sich im Ausland behandeln lassen, nicht eingerechnet. Betroffene gehen unter anderem deshalb ins Ausland, weil die finanzielle Unterstützung durch die Krankenkassen in Deutschland auf eine ganz bestimmte Gruppe beschränkt ist: auf verheiratete heterosexuelle Paare und die bekommen drei Versuche. Über 50 Prozent der Paare sind nach den drei Versuchen nicht schwanger.

epd: Und es sind heute ja nicht nur die Mann-Frau-Paare, die einen Kinderwunsch haben.

Mayer-Lewis: Ja, wir brauchen dieses Kompetenzzentrum auch, weil die Diversität zugenommen hat. Beispielweise auch gleichgeschlechtliche Paare haben den Wunsch nach Familie. Bei schwulen Paaren, die auf eine Leihmutter angewiesen sind, ist die Zahl der Fälle nicht so hoch, aber der Kinderwunsch ist deswegen nicht weniger da. Und eine gesellschaftliche Dynamik, mit der wir uns beschäftigen müssen, sind die alleinstehenden Frauen, die mit Samenspenden ein Kind bekommen wollen. In den Beratungsstellen sind das schon 27 Prozent.

epd: Sie denken auch da an das Fachpersonal, für das „Kompki“ aufgebaut werden soll. Weshalb?

Mayer-Lewis: Drei Prozent aller Geburten erfolgen inzwischen nach einer medizinischen Behandlung. Das sollten Hebammen, Erzieherinnen und alle, die mit Eltern und Kindern arbeiten, berücksichtigen. Bei Schwangerschaften, die nach einer medizinischen Behandlung zustande kommen, ist auch die Frühgeburtenrate höher. Das wiederum spielt für Fachkräfte in der Frühförderung eine Rolle. Deshalb ist die Zeugungsgeschichte auch nach der Geburt eines Kindes von Relevanz.

Aber auch mit Paaren, die gewollt kinderlos sind, sollte man sensibel umgehen. Sie müssen oft mit Vorhaltungen leben, dass sie sich mit einem doppelten Einkommen ohne Kinder das Leben einfach machen wollen. Auch hier erfahren Menschen Diskriminierung und Stigmatisierung.

epd: Welche Wissenslücken zum Thema Kinderwunsch halten Sie für gravierend?

Mayer-Lewis: Das Wissen über die Fertilität (Fruchtbarkeit) ist viel zu wenig verbreitet. Hier nimmt die Gynäkologie eine Schlüsselstelle ein. Viele Frauen denken ja, sie können den Kinderwunsch auf das Alter jenseits der 35 verschieben. Deshalb ist oft auch altersbedingt schon medizinische Unterstützung erforderlich sein. Die biologische Uhr tickt, irgendwann ist die Möglichkeit vorbei, Kinder zu bekommen. Auch die Urologie hätte hier mehr Beachtung verdient, aber Männer gehen ja oft erst im höheren Alter zum Urologen.

epd: Sie sagen, ein „Kompki“ sollte sich auch um diejenigen Familien kümmern, bei denen der Kinderwunsch erfüllt wurde, warum?

Mayer-Lewis: Wenn ein Kind da ist, heißt das nicht, dass alles geklärt ist. Es wurde 2018 ja mit dem Samenspende-Register-Gesetz eingeführt, dass Kinder ab 16 Jahren, die mit einer Samenspende gezeugt werden, das Recht haben, über ihre Herkunft Bescheid zu wissen. Das ist wichtig, aber diese Frage betrifft die Intimität der Partnerschaft der Eltern und es ist deshalb nicht immer einfach für Eltern, mit der Zeugungsgeschichte ihres Kindes offen umzugehen. Das Thema ist wahnsinnig tabuisiert, weil damit Dritte in die Zeugungsgeschichte involviert werden. Eltern wünschen sich hierzu oft mehr Verbalisierungshilfen und einen offeneren Umgang in der Gesellschaft mit dem Thema.

Aber auch eine spendende Person kann von einer Kontaktanfrage eines Kindes überfordert sein. Und das Kind selbst muss eventuell damit umgehen, wenn es den Spender kennenlernen will und dieser den Kontakt verweigert. Leid kann aber auch verursachen, wenn nach einer geglückten Schwangerschaft die Umgebung nach dem zweiten Kind fragt. Da wäre oft ein sensiblerer Umgang wichtig. Auch für solche Probleme gibt es bisher keine ausreichende Beratungs-Infrastruktur. (00/1671/05.06.2024)