Mehr Mut zur Selbstorganisation

In dieser Woche treffen sich Wohnungslose aus ganz Deutschland und Europa im niedersächsischen Freistatt zu einem Sommercamp. Ziel ist eine politische Selbstvertretung.

Das Vorbereitungsteam des Wohnungslosentreffens 2017 kam am Ende der Veranstaltung auf die Bühne und erhielt viel Applaus von den Teilnehmern.
Das Vorbereitungsteam des Wohnungslosentreffens 2017 kam am Ende der Veranstaltung auf die Bühne und erhielt viel Applaus von den Teilnehmern.wohnungslos.info

Freistatt. Wohnungslose aus ganz Deutschland treffen sich für eine Woche zu einem Sommercamp im niedersächsischen Freistatt, bei dem sie überlegen wollen, wie sie ihre Interessen wirksam vertreten können. Zu dem dritten Treffen dieser Art haben sich etwa 120 Teilnehmer angekündigt, wie Koordinator Stefan Schneider mitteilte. Darunter seien auch Vertreter vom Europäischen Netzwerk "Hope" – Homeless People in Europe – aus Dänemark, Irland, Österreich, Belgien, Finnland, Portugal sowie aus Ungarn.

"Alles verändert sich, wenn wir es verändern"

Die Campteilnehmer übernachten im Freistätter Sinnesgarten direkt neben dem Seminarhaus "Wegwende" in Zelten auf Feldbetten. Unter dem Motto "Alles verändert sich, wenn wir es verändern" wollen die Organisatoren die Teilnehmenden dazu ermutigen, sich zu vernetzen, gemeinsam Aktionen zu entwickeln und sich so selbst für ihre Interessen zu engagieren. "Auch der Großteil des Programms wird von den Teilnehmenden organisiert", verdeutlichte Schneider. Im Aufruf zu dem einwöchigen Camp heißt es: "Armut, Ausgrenzung, Obdachlosigkeit und Hilflosigkeit sind keine Naturgesetze".
Die Arbeit an einer Selbstvertretung Wohnungsloser steht im Mittelpunkt des Treffens. Dazu finden sich die Teilnehmer in Arbeitsgruppen zusammen. In regionalen und thematischen Gruppen wollen sie über ein politisches Programm beraten und grundsätzliche Verabredungen zum weiteren Vorgehen treffen.
Als Gäste werden unter anderem Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Maria Loheide vom Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland sowie Pastorin Johanna Will-Armstrong und Professor Ingmar Steinhart vom Vorstand der Stiftung Bethel erwartet.

Ziel des Sommercamps: Interessen klar formulieren

Noch viel zu häufig entscheiden Vertreter der sozialen Arbeit darüber, was für Wohnungslose gut sei, sagte Schneider. Dem wirke das Camp entgegen mit seinem Ansatz, die Interessen der Betroffenen klar zu formulieren. Das allerdings ist offensichtlich nicht einfach. Mitorganisator Uwe Eger berichtete bei einem Vorbereitungstreffen, es sei meist schwer, Menschen zu erreichen, die mit ihrem Kampf ums Überleben auf der Straße, ihren Problemen und oft auch ihren Süchten mehr als überfordert seien.
Zu dem Treffen wird auch Richard Brox aus Mannheim erwartet. Er lebte mehr als 30 Jahre auf der Straße und gilt als bekanntester Obdachloser Deutschlands. Bekannt wurde der 53-Jährige durch seine Ratgeber-Internetseiten und seine Zusammenarbeit mit dem Journalisten Günter Wallraff für den Film "Unter Null – Obdachlos". Ende vergangenen Jahres hat er seine Lebensgeschichte "Kein Dach über dem Leben" veröffentlicht, die im Rowohlt Verlag erschienen ist. Während des Camps will er über seine Erfahrungen als "Prominenter" in der Mediengesellschaft berichten.

Mehrtägige Treffen sind selten

In der Geschichte der Wohnungslosigkeit gibt es nur wenige große und mehrtägige Versammlungen wohnungsloser Menschen. Dazu gehörten der "Vagabundenkongress" 1929 in Stuttgart, das "Berbertreffen" 1981 ebenfalls in Stuttgart sowie der "Kongress der Kunden und Vagabunden, Obdach- und Besitzlosen" 1991 in Uelzen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe schätzt, dass die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland im Laufe des Jahres auf 1,2 Millionen steigen wird, inklusive anerkannter wohnungsloser Flüchtlinge. Das Wohnungslosentreffen Freistatt ist ein zentraler Baustein des Projekts "Förderung von Teilhabe und Selbstorganisation wohnungsloser Menschen in Niedersachsen" am Standort Freistatt der Stiftung Bethel. Es wird finanziert von der Aktion Mensch, dem Land Niedersachsen und dem Diakonischen Werk in Niedersachsen. Zentrale Kooperationspartner sind das Armutsnetzwerk und "Hope". 2019 soll es ein viertes Treffen geben, dann im oberbayerischen Herzogsägmühle.

Bei dem zweiten Wohnungslosen-Treffen im Juli 2017 in Freistatt kamen 120 Teilnehmer aus mehr als 40 Orten in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Sie schlossen sich in unterschiedlichen Gruppen zusammen, es entstanden etwa eine Frauengruppe, eine Presse- und Mediengruppe sowie eine Gruppe, die sich für die weiterführende Organisation des Treffens einsetzt.

Weitere Infos gibt es online auf www.wohnungslosentreffen.de.