Mehr als eine stressige Phase – Wie Arbeit psychisch krank macht
Druck und Fachkräftemangel, sinnlose Aufgaben und wenig Anerkennung: Die Zahl derjenigen, die sich von ihrer Arbeit überlastet fühlen, steigt. Eine Aktionswoche mahnt nun, mentale Gesundheit sei nicht nur Privatsache.
Gute Arbeit kann stärken und zum Wohlbefinden beitragen – doch ebenso können schwierige Bedingungen im Job krank machen. 15 Prozent aller hierzulande anfallenden Fehltage sind durch psychische Erkrankungen bedingt; im vergangenen Jahr haben sich nach Angaben von Krankenkassen so viele Arbeitnehmer wie noch nie wegen psychischer Probleme krankgemeldet. Im Zehnjahresvergleich sind die Fehltage wegen psychischer Beschwerden demnach um fast die Hälfte gestiegen.
Fachleute sind sich einig, dass massive Veränderungen in der Arbeitswelt ihren Teil dazu beitragen. “Technostress und Entgrenzung in der Arbeit” nennt die Leipziger Sozialmedizinerin Steffi Riedel-Heller als Beispiele. “Man könnte auch annehmen, dass Menschen durch die Pandemie sensibler geworden sind”; viele gingen beispielsweise nicht mehr krank zur Arbeit.
Die Wissenschaftlerin, die Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde ist, betont aber auch: “Die Zusammenhänge sind komplex.” So wüssten viele die Flexibilität durch mobiles Arbeiten zu schätzen, andere litten im Homeoffice unter sozialer Isolation. “Oft ist derselbe Faktor Risiko und Chance zugleich.” Dafür sensibilisieren soll ab dem 10. Oktober die Woche der Seelischen Gesundheit. Sie steht unter dem Motto “Hand in Hand für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz” – für den Schirmherrn und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein “sehr relevantes Thema”.
Stressige Zeiten im Job kennen wohl die allermeisten. Als besonders belastend empfinden die Menschen aber nicht allein die Menge, sondern vor allem die Art der Aufgaben, wie kürzlich eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigte. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) sagte, weniger sinnlose Tätigkeiten könnten ihre beruflich bedingte Erschöpfung verringern. Auf Platz zwei folgte der Wunsch nach einem geringeren Arbeitspensum (32 Prozent), danach mehr Zeit für die eigenen Aufgaben (27 Prozent) sowie Anerkennung von Erschöpfung durch den Arbeitgeber (23 Prozent).
Im Arbeitsschutzrecht ist eine vorbeugende psychische Gefährdungsbeurteilung durch Unternehmen vorgesehen. Etwa Befragungen oder Workshops sollen Aufschluss darüber geben, welche Risikofaktoren die Arbeitsaufgaben, aber auch soziale Beziehungen oder die Form der Arbeit bergen. Dies müsse mit mehr Leben gefüllt werden, betont Riedel-Heller: “Wir müssen nicht nur auf Asbest, Staub oder Schadstoffe am Arbeitsplatz schauen.”
Für jede und jeden Einzelnen sei es wichtig, Pausen zu machen, sich im Alltag ausreichend zu bewegen und Stresssignale frühzeitig zu erkennen, fügt Riedel-Heller hinzu. Auch ein Augenmerk darauf, die Bindung an Kolleginnen und Kollegen nicht zu verlieren, könne sinnvoll sein: Viele berichteten von einer “Zerrissenheit in den Teams”. Dabei sei bekannt, dass vielen Menschen beim Renteneintritt sogar diejenigen fehlten, die sie im Büro nie leiden konnten. “Man wächst an den Interaktionen, bekommt anderen Input und erweitert Kompetenzen.”
Zugleich forderte die Bundespsychotherapeutenkammer schon vor Jahren, grundsätzlich zu überdenken, wie in Deutschland gearbeitet wird. Laut der Soziologin Sabine Flick wird Arbeit jedoch noch zu selten als potenziell krankheitsauslösend betrachtet – sowohl in Therapien als auch in Diagnosemodellen. “Dabei wissen wir, dass ein Mangel an Anerkennung oder eine schlechte, überforderte oder nicht vorhandene Personalführung der psychischen Gesundheit schaden kann”, sagte sie dem Magazin “Psychologie Heute compact”.
Häufig werde überlasteten Menschen geraten, sie müssten sich besser abgrenzen. “Dadurch werden andere, externe Stressoren übersehen und vor allem, dass man sich eben nicht einfach ohne Konsequenzen abgrenzen kann, wenn permanent Grenzen überschritten werden”, sagte Flick. Wenn jemand etwa gelegentlich nicht ans Telefon gehe, ändere das nichts an einer strukturellen Überlastung. “Mangelnde Abgrenzungsfähigkeit ist vielleicht ein Thema, aber man sollte auch verstehen, wie die aktuelle Arbeitssituation organisiert ist.”