Medizinischer Dienst: Mehr Pflegegutachten und Qualitätsmängel

Mehr Menschen brauchen Pflege bei weniger Pflegern. Der Medizinische Dienst als Gutachter hat daher alle Hände voll zu tun. Die Qualität der Gesundheitsversorgung bereitet ihm dabei Kopfzerbrechen.

Knapp drei Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr Gutachten des Medizinischen Dienstes zur Pflegebedürftigkeit erhalten. Auch bei der Qualitätsprüfung etwa von Krankenhausrechnungen hatte der Dienst allerhand zu tun, wie der Vorstand am Donnerstag mitteilte. Dabei sehen die Experten ein “kritisches Ausmaß” an Defiziten bei der Qualität im Gesundheitswesen.

“Die Anzahl der Begutachtungen steigt weiter kontinuierlich an”, sagte die Vizevorstandsvorsitzende Carola Engler mit Blick auf den Bereich Pflege. Insbesondere das Plus von etwa 20 Prozent einer festgestellten Pflegebedürftigkeit bei Menschen unter 50 Jahren sei erheblich und überraschend. Die Corona-Pandemie und Long-Covid könnten ein Faktor sein, es gebe aber auch zusätzliche Demenzfälle.

Bei mehr als der Hälfte aller Begutachteten wurde der zweite oder dritte Pflegegrad festgestellt. Weitere knapp 18 Prozent erhielten einen Pflegegrad vier oder fünf. Der Pflegegrad bestimmt, welche Leistungen die Pflegeversicherung übernimmt, etwa die Höhe des monatlichen Pflegegeldes oder Sachleistungen wie einen Rollator.

Die Äußerung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), dass der hohe Anstieg der Gesamtzahl Pflegebedürftiger unerwartet gewesen sei, wundere sie sehr, fügte Engler hinzu. Lauterbach hatte das jüngst veröffentlichte Plus von 360.000 Pflegebedürftigen für 2023 als “nahezu explosionsartig” bezeichnet. Der Medizinische Dienst habe dieses Plus seit Jahren gesehen und benannt, betonte Engler. Das betreffe nicht nur Neubegutachtungen, sondern auch Höherstufungen.

Die Experten wünschen sich daher mehr Flexibilität bei der Begutachtung. Der Hausbesuch bleibe der Standard, aber es brauche darüber hinaus neue Modelle. Etwa eine Videobegutachtung, telefonische Gespräche und eventuell auch den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Dabei dürfe die Aufgabe nicht auf Pflegekräfte oder Einrichtungen übertragen werden, betonte Engler. Die Unabhängigkeit und Expertise des Medizinischen Dienstes bleibe grundlegend.

Zugleich beklagt der Medizinische Dienst ein “kritisches Ausmaß an Qualitäts- und Strukturdefiziten im Gesundheitswesen”. Bei rund 15.000 Prüfungen von Struktur- und Qualitätsvorgaben in Krankenhäusern seien notwendige Voraussetzungen, besonders für komplexe Behandlungen, teils nicht erfüllt worden, sagte der Vorstandsvorsitzende Stefan Gronemeyer. Vor allem fehlendes Fachpersonal sei ein Problem.

Daher begrüße er die anstehende Krankenhausreform. Aber, der Teufel stecke im Detail, und gerade mit Blick auf mehr Qualität brauche es klar formulierte Kriterien und deren ständige Weiterentwicklung, mahnte Gronemeyer. Der Medizinische Dienst soll in Zukunft auch die Qualitätskriterien für die geplanten Leistungsgruppen der Krankenhäuser überprüfen.

Bei der Überprüfung von 1,4 Millionen Krankenhausrechnungen wurde jede zweite beanstandet. Darüber hinaus führte der Medizinische Dienst knapp drei Millionen sozialmedizinische Begutachtungen bei Versicherten durch, etwa zur Arbeitsunfähigkeit oder Reha.