Die juristische Lage rund um die Suizidassistenz bleibt unklar. Doch die Zahl der assistierten Suizide steigt stark. Medizinethiker beklagen einen Mangel an Daten. Und warnen, dass Suizidbeihilfe zum Geschäft wird.
Mehrere Medizinethiker kritisieren eine weithin ungeregelte Situation bei der Beihilfe zum Suizid in Deutschland. Derzeit zeichne sich eine deutliche Zunahme von Fällen der Beihilfe zur Selbsttötung ab. Zunehmend entwickelten Anbieter auch für sie einträgliche Geschäftsmodelle, schreiben die Medizinethiker Jan Schildmann (Halle) und Georg Marckmann (München) sowie der Bochumer Psychiatrie-Ethiker Jakov Gather in einem Gastbeitrag für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” am Montag.
Sie empfehlen die Entwicklung eines Schutzkonzepts, das Menschen mit Suizidwünschen umfangreich berät, ihnen Hilfe anbietet und die Freiwilligkeit eines möglichen Suizids ermittelt. Dabei sollten nach Ansicht der Experten Angebote der Suizidvorbeugung und der Suizidbeihilfe nicht voneinander getrennt, sondern integriert werden.
“Entscheidungen bei Anfragen nach Suizidassistenz betreffen zwei der höchsten Güter: den Schutz des Lebens und die Achtung der Selbstbestimmung”, schreiben die Autoren. Im Sinne eines verantwortbaren Umgangs mit diesen Entscheidungen sollten sich diejenigen, die sich mit Suizidprävention auskennen, mit denjenigen, die Suizidassistenz leisten, über angemessene Strukturen und Qualitätskriterien für die Praxis der Suizidassistenz verständigen.”
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert. Zugleich betonten die Richter, der Staat könne Regelungen treffen, um zu überprüfen, ob die Entscheidung wirklich ohne äußeren Druck getroffen wird. Zwei Gesetzentwürfe, die unter anderem Beratungspflichten und Entscheidungsfristen vorsahen, verfehlten 2023 eine Mehrheit im Bundestag.
“In Deutschland entwickelt sich derzeit eine weitgehend unregulierte Praxis des Umgangs mit Anfragen nach Suizidassistenz”, schreiben die Experten in der Zeitung. Nach Angaben von Sterbehilfeorganisationen starben 2024 etwa 1.000 Personen infolge einer Suizidassistenz – 400 mehr als 2022. Die Gesamtzahl der Fälle dürfte allerdings deutlich höher liegen.
Die Medizinethiker verweisen zudem darauf, dass einzelne Anbieter bereits mehr als 4.000 Euro für eine positive Vorprüfung vom Sterbewilligen verlangen. Der gleiche Betrag werde noch einmal fällig, wenn es zur assistierten Selbsttötung komme. “Alles in allem ist bereits jetzt absehbar, dass die Suizidassistenz in Deutschland ein einträgliches Geschäft werden könnte.”
In dem Zusammenhang kritisieren die Experten fehlende Datenerhebungen über den Umgang mit Suizidassistenz in Deutschland. Sie verweisen aber auf ein 2024 eingerichtetes “Bericht- und Lernsystem”, in dem Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Hospizmitarbeitende auf freiwilliger Basis Suizidfälle und -wünsche anonymisiert dokumentieren könnten.
Werte man diese – nicht repräsentativen – Fälle aus, so zeige sich, dass die wichtigsten Gründe für eine Anfrage nach Hilfe zur Selbsttötung nicht körperliche Leiden, sondern die Sorge vor einem Verlust der Selbstbestimmung seien. Aus den in der Datenbank registrierten Fällen ergeben sich nach Angaben der Experten auch zentrale Fragen nach einem verantwortbaren Umgang mit diesen schwerwiegenden Entscheidungen.
“Als Zeitspanne zwischen der ersten Anfrage und der assistierten Selbsttötung werden in einigen Fällen weniger als vier Wochen angegeben.” Hier sei klar zu bezweifeln, ob die vom Verfassungsgericht geforderte Sicherstellung einer gewissen Dauerhaftigkeit des Suizidentschlusses berücksichtigt werde. “Weiterhin wurde nur in wenigen Fallberichten explizit vermerkt, dass die Freiverantwortlichkeit von zwei Personen geprüft wurde, die unabhängig voneinander handelten.”
Für Marckmann, Gather und Schildmann steht fest: Akteure der Palliativversorgung und der Suizidassistenz müssten in Netzwerken kooperieren. Sonst bestehe die Gefahr, dass Suizidwillige nicht ausreichend über Handlungsmöglichkeiten informiert würden. Im Bereich der Suizidhilfe drohe ein Dynamik, die Selbsttötungen immer selbstverständlicher werden lasse.