Diagnose, Medikamente, OP, aber kein Zuhören? Ein Medizinethiker kritisiert, dass Ärzte oft nur die Krankheit sehen. Das schade nicht nur den Patienten – sondern auch den Medizinerinnen und Medizinern selbst.
Der Medizinethiker Giovanni Malo warnt Ärzte davor, Patienten nur auf deren Krankheit zu reduzieren. Sie bräuchten auch ein Verständnis dafür, was eine Krankheit mit dem Menschen macht, sagte Malo in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der Verlagsgruppe Bistumspresse. Dazu gehöre zu verstehen, dass Menschen sich durch eine Erkrankung entwertet fühlten. Denn: “Sie werden der Illusion beraubt, sie könnten ihr ganzes Leben lang alles selbst schaffen.”
Die Medizin dürfe Patienten nicht “durchschleusen wie eine anonyme Nummer”, so Malo. Der Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg kritisierte, die aktuelle Medizin repariere viel, ohne den Patienten verstanden zu haben. Natürlich müssten Ärzte Diagnosen stellen, Medikamente geben und operieren, aber sie müssten auch auf die Leidenserfahrungen blicken. “Sie müssen sich eben für den Befund genauso interessieren wie für das Befinden, für die Krankheit genauso wie für das Kranksein.”
Malo kritisierte das aktuelle Gesundheitssystem. Es gebe den Anreiz, so wenig wie möglich zu sprechen und den Patienten sofort in eine Behandlungsschablone zu packen. Darunter litten auch die Ärzte. “Die Medizinstudenten, die ich im Hörsaal erlebe, möchten alle einen menschennahen Beruf ausüben. Aber die moderne Medizin gibt ihnen wenig Raum dazu”, sagte der Professor. Er sieht in den Arbeitsbedingungen einen Grund für den herrschenden Ärztemangel.