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Medizinerin: Stress verstehen – und sich selbst retten

Guter Stress? Den gibt es wirklich. Die Ärztin Eva Peters erklärt, wie man erkennt, wenn aus Stress eine Belastung wird. Sie zeigt auch Strategien, um besser mit Druck umzugehen – und rechtzeitig die Notbremse zu ziehen.

Der Wecker klingelt, der Puls rast, der Kopf ist schon bei der nächsten Aufgabe. Das kennen viele Menschen, denn alle haben Stress – die meisten eher zu viel als zu wenig. Die Stressforscherin Eva Peters erklärt, was sich hinter dem häufig gebrauchten Begriff verbirgt. In ihrem Buch “Stress verstehen. Wenn Körper und Psyche Alarm schlagen” gibt sie zudem Tipps, wie man mit Druck fertig werden kann.

“Stress ist eine effektive Reaktion unseres Körpers auf eine herausfordernde Situation, die unser Herz-Kreislauf-System stimuliert, die durchaus Spaß machen kann und mitunter unser Leben rettet”, erklärt die Medizin-Professorin. Stress ist also nicht per se schädlich – im Gegenteil. Richtig dosiert könne er sogar leistungs- und widerstandsfähiger machen.

Problematisch wird es, wenn Stress chronisch wird und keine ausreichende Erholung möglich sind. “Wie viel Stress jeder von uns verträgt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und zum Teil unserer Genetik und unserer Epigenetik geschuldet.” An den Genen könne man nichts Wesentliches ändern, sagt Peters – aber an der eigenen Umgebung.

“Je besser unser soziales Umfeld funktioniert, und je besser wir in unserem sozialen Umfeld funktionieren, umso mehr kommen wir mit Stress klar.” Doch sollte man chronischen Stress nicht auf die leichte Schulter nehmen: Er könne dazu beitragen, “einen Herz- oder Hirninfarkt, eine Lungenembolie oder etwas ähnlich Lebensbedrohliches zu erleiden”, warnt die Autorin.

Allerdings: Auch die besten Ausgleichs-Faktoren könnten mitunter nicht verhindern, dass gesunder Stress in eine Form kippt, die krank mache. An diesem Punkt setze die Psychotherapie an – denn die Fähigkeit, mit Stress umzugehen, bleibe “ein ganzes Leben lang anpassungsfähig”. Das heißt: “Was im Laufe unseres Lebens missglückt, kann geordnet, eingereiht und integriert werden.”

Wie kann man also erkennen, dass man unter Stress leidet? Eines der häufigsten und verlässlichsten Symptome sind Schlafstörungen, hat die Medizinerin festgestellt. Sie könnten zu schwerer Erschöpfung führen – wie Burnout und Fatigue. Auch geistig-seelische Erschöpfung, eine Depression, sei möglich. Außerdem geht das Immunsystem eher in die Knie, wenn Stress chronisch werde: Ein weiterer Hinweis seien nicht oder schlecht heilende Wunden.

Wenn ein Mensch zu viel Stress haben, reagiert also der Körper. Im Gespräch mit Betroffenen zeige sich, dass oft eine Veränderung von Grundfunktionen als Erstes bemerkt wird, so die Expertin. “Die meisten von uns haben eine Sollbruchstelle, eine individuelle Eintrittspforte für Störungen, einen Ort im Körper, wo die Barriere bricht und die Schwelle spürbar zuerst überschritten wird.” Die einen bekommen eine fiese Erkältung, andere einen verspannten Nacken, bei wieder anderen wird der Tinnitus unbeherrschbar.

Und was ist zu tun, um Gewohnheiten loszuwerden, die dazu beitragen? Das ist nicht einfach, weiß Peters. Denn oft genug kämen Emotionen wie Angst oder Traurigkeit dazu. Dann rät sie, professionelle Hilfe von Ärzten und Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen.

“Ein gutes Ziel für den gesunden Umgang mit Stress ist nicht, möglichst stressfrei zu leben”, fügt die Medizinerin hinzu. Vielmehr gehe es um eine gesunde Selbstwahrnehmung. Sie rät konkret, sich selbst regelmäßig zu fragen: Wie viel Stress habe ich, wie viel macht Spaß und ist gut für mich? Wo wird die Grenze zum schlechten Stress überschritten? Dann komme es auf ein gutes Stressmanagement an.

Dazu gehöre ausreichend Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf, eine zufriedenstellende Beschäftigung, Hobbies sowie gute zwischenmenschliche Beziehungen. Ansonsten solle man sich selbst fragen: Woran merke ich, dass etwas nicht in Ordnung ist? Welches sind die Gründe dafür, dass es nicht in Ordnung ist? Und: Was kann ich tun, damit sich das ändert? Wo brauche ich Hilfe? “Man muss nicht immer gleich an allen Stellschrauben mit voller Kraft drehen”, beruhigt Peters: “Aber hier und da etwas nachjustieren macht uns alle stressfreier und gesünder.”