Medizinerin: In Notfallsituationen auf die Sprache achten

Wer eine lebensverändernde Diagnose erhält oder einen Herzinfarkt erlitten hat, befindet sich auch emotional im Ausnahmezustand. Er gleicht laut einer Medizinerin einer Trance. Wie Hilfskräfte reagieren sollten.

Ärztinnen und Helfer brauchen nicht nur einen medizinischen, sondern auch einen “sprachlichen Notfallkoffer”: Das betont die Chirurgin Dorothea Thomaßen. Bei der Besprechung einer Diagnose oder auch nach einem Unfall sei es beispielsweise wichtig, das eigene Vorgehen verständlich zu erklären, sagte sie der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Juli-Ausgabe). Alles, was in diesen Momenten zu Hilfsbedürftigen gesagt werde, könne “deren Befinden erheblich beeinflussen”.

Dies betreffe nicht nur Äußerungen von medizinischem oder Pflegepersonal, fügte Thomaßen hinzu. “Auch Sätze von Außenstehenden können sich einbrennen”, selbst wenn diese nichts mit den Betroffenen und ihrer Situation zu tun hätten. “Ein Beispiel sind unbedacht geplapperte Kommentare von Schaulustigen zu Unfallschuld oder Überlebenschancen bei einem Autounfall.” Menschen in Notsituationen müssten daher geschützt werden; Hilfskräfte sollten sich “seelisch stabilisierend” äußern.

Auch der Jargon in Krankenhäusern sorge mitunter für Verwirrung, erklärte die Expertin: Dazu zählten Begriffe wie “Giftschrank” für ein Medikamentenlager, “Galgen” für den Haltegriff über den Patientenbetten oder der “Schockraum”, in dem Menschen erstversorgt und stabilisiert würden. Ebenso seien Ausdrücke wie “schmerzlos” oder “angstfrei” wenig sinnvoll, weil sie die Aufmerksamkeit auf “Schmerz” oder “Angst” lenkten. “Begriffe wie weich, locker, gelöst und erträglich haben sicher eine andere Wirkung.”

Viele Ärztinnen und Ärzte wollten nicht zu viel Hoffnung schüren. “Warum darf man einem Menschen nicht sagen: ‘Alles, was ich sehe, sieht gesund aus?'”, fragte Thomaßen. Die bestmögliche Aussage, dass eine Untersuchung “ohne pathologischen Befund” verlaufen sei, besage keineswegs, dass die betreffende Person gesund sei. Dabei stabilisiere es Menschen psychisch und körperlich, wenn sie ruhiger und zuversichtlicher seien.