Mediziner über mangelnde Bereitschaft zur Organspende

Er hat Menschen sterben sehen, die vergebens auf ein neues Organ gewartet haben: Der Internist Bernhard Krämer beobachtet hierzulande viele falsche Vorstellungen rund um die Organspende.

Bernhard Krämer ist Direktor der V. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim und Professor für Innere Medizin an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Er hat tausende Organtransplantationen begleitet. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt er, warum gerne mehr Menschen zu einer Entscheidung motivieren möchte – für oder gegen eine Organspende.

KNA: Herr Professor Krämer, warum werden in Deutschland so wenig Organe gespendet?

Bernhard Krämer: Die Menschen in Deutschland haben zum Teil komplett falsche Vorstellungen davon, was eine Organspende bedeutet. Auch ist der Altruismus hierzulande nicht so verbreitet, dass ich etwas tue, um einem anderen Menschen zu helfen. In den USA beispielsweise ist das viel selbstverständlicher.

KNA Welche Bedenken haben die Menschen denn?

Krämer: Es gibt große ethische Vorbehalte, dass die Selbstbestimmung des Verstorbenen gefährdet sein könnte. Dabei ist Voraussetzung, dass die Person zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt hat oder dass Angehörige aus Gesprächen eine positive Einstellung des Verstorbenen zur Organspende ableiten können. Viele fürchten auch, Organe könnten entnommen werden, wenn der Patient noch nicht tot ist.

KNA: Aber das ist ausgeschlossen?

Krämer: Das ist absolut ausgeschlossen. In Deutschland müssen zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod feststellen. Fehldiagnosen sind nicht möglich.

KNA: Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, ob eine Widerspruchsregelung das Problem lösen könnte. Demnach wären alle Menschen potenzielle Spender, die nicht aktiv widersprechen. Was halten Sie davon?

Krämer: Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Dann müssten die Menschen aktiv werden, wenn sie keine Organe spenden wollen. Jetzt müssen sie aktiv werden und sich einen Ausweis besorgen und ausfüllen, wenn sie Organspender werden möchten. Das reicht aber nicht, auch die Hürden in den Köpfen müssen beseitigt werden.

KNA: Sie sagen, die Widerspruchsregelung wäre ein erster Schritt – warum wird nicht wenigstens der gegangen?

Krämer: Es gibt Medizinethiker, die argumentieren, dass man von den Menschen nicht verlangen könnte, sich mit Sterben und Tod zu befassen, wenn sie das nicht wollten. Bei einer Widerspruchslösung wäre das aber notwendig.

KNA: Wenn etwa der eigene Sohn bei einem Motorradunfall stirbt, ist es aber zu spät, um sich damit auseinanderzusetzen. Und auf der Warteliste stirbt gleichzeitig ein Mensch, weil er nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhält.

Krämer: In der Tat stellen solche Fälle eine absolute Ausnahmesituation dar. Die allermeisten Angehörigen entscheiden sich gegen eine Organspende, wenn sie nicht ganz sicher sind, dass sich der Verstorbene dafür ausgesprochen hat. Umso wichtiger ist es, sich an guten Tagen über das Thema zu unterhalten und eine Entscheidung zu treffen: für oder gegen eine Organspende.

KNA: Woher stammen die meisten Organe, die transplantiert werden?

Krämer: Organspenden von Unfallopfern machen nur 15 Prozent aus. Transplantiert werden vor allem Organe von Schlaganfallpatienten oder Menschen, die eine Hirnblutung erlitten haben. Der Mangel an Organen hat im Übrigen dazu geführt, dass wir in Deutschland noch Organe transplantieren, die in Spanien aussortiert würden.

KNA: Aber ist das als Arzt nicht extrem frustrierend?

Krämer: Auf jeden Fall! Wir gehen aus Mangel an Organen an die Grenzen des medizinisch Machbaren.

KNA: Und erzielen trotzdem Erfolge?

Krämer: Das ja, und wir haben auf diese Weise viele Fortschritte gemacht und Daten sammeln können, die zum Beispiel zeigen, dass bei älteren Organempfängern eine Gewebetypisierung sinnvoll ist oder dass wir auch dann Nieren transplantieren können, wenn der Patient eine Gefäßvorerkrankung hat. Auch kann es sinnvoll sein, zwei Nieren zu transplantieren, wenn die Qualität nicht die beste ist – dann wiegt sich das auf. Aber letztlich ärgert mich die Situation, denn wir werden der Verantwortung gegenüber den Patientinnen und Patienten, die uns anvertraut sind, nicht gerecht.

KNA: Organtransplantationen bedeuten für Krankenhäuser einen großen Aufwand. Spiegelt sich das in der Finanzierung wider?

Krämer: Die finanzielle Ausstattung ist ausreichend, das hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gebessert. Dennoch mag es im Einzelfall Widerstände geben. Wenn ich ein Team reinhole, das nachts eine Organentnahme vornimmt, steht mir das am nächsten Tag nicht mehr zur Verfügung. Das heißt, ich muss OPs verschieben; Einsatzpläne sind über den Haufen geworfen.

KNA: Sind Kliniken in Spanien, weltweit die Nummer 1 bei Organspenden, besser ausgestattet?

Krämer: Im Gegenteil! Dort gibt es viel weniger Krankenhäuser mit intensivmedizinischen Abteilungen, wo Organentnahmen durchgeführt werden könnten. Uns fehlt der Aufbruchsgeist, der noch vor Jahrzehnten geherrscht hat, dass ich als Klinik Organentnahmen und die folgenden Transplantationen zur Priorität erkläre.