Immer noch ist Parkinson nicht heilbar. Doch die Wissenschaft macht große Fortschritte, wie der zweite Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen, Joseph Claßen, betont.
Vor 200 Jahren, am 21. Dezember 1824, starb der britische Arzt James Parkinson. Die nach ihm benannte Krankheit steht im Mittelpunkt der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) gibt deren zweiter Vorsitzender Joseph Claßen einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand. Und erklärt, wo und wie Betroffenen und deren Angehörige Hilfe erfahren. Claßen ist Direktor der Neurologie am Universitätsklinikum Leipzig.
KNA: Herr Professor Claßen, vor 200 Jahren starb der britische Arzt James Parkinson. Welches sind seine Verdienste bei der Behandlung und Erforschung der nach ihm benannten Krankheit?
Claßen: Parkinson hat die Krankheit als Erster systematisch beschrieben. Zwar ging er in seinem 1817 veröffentlichten “Essay on the Shaking Palsy” – “Abhandlung über die Schüttellähmung” – irrtümlich davon aus, dass die Erkrankung mit einer Lähmung, also Kraftminderung einhergeht. Aber er definierte die Hauptsymptome der Krankheit, also die Muskelsteifheit, die Bewegungsverlangsamung und das Zittern. Das war eine Zäsur, denn von dort an konnte die Parkinson-Forschung ihren Lauf nehmen.
KNA: Welche Meilensteine hat es in diesem Bereich seither gegeben?
Claßen: In den 1960er-Jahren hat man Dopaminmangel als wesentliches Problem erkannt. Bei Parkinson-Patienten sterben Nervenzellen ab, die Dopamin produzieren. Deswegen wurden das kurz darauf eingeführte L-Dopa-Medikament ein entscheidendes Mittel in der Therapie. Dies soll den Dopaminmangel ausgleichen. Dafür gab es einen Nobelpreis.
KNA: Wie ging es danach weiter?
Claßen: Ein weiterer Meilensteine ist sicherlich die Einführung der tiefen Hirnstimulation in den 90er-Jahren gewesen. Das ist eine Methode, mit der sich vor allem Probleme behandeln lassen, die später im Verlauf der Erkrankung auftreten. Ebenfalls in den 90er-Jahren setzte die genetische Forschung ein. Wir kennen inzwischen eine Reihe von Genen, die Parkinson verursachen oder einen wesentlichen Risikofaktor darstellen. Aus der Analyse der Funktionen, die diese Gene haben, können wir besser nachvollziehen, was wahrscheinliche Krankheitsursachen sind. In den vergangenen Jahren kamen die sogenannten Biomarker aus verschiedenen Untersuchungsmethoden hinzu.
KNA: Wie muss man sich das vorstellen?
Claßen: Ein Beispiel: In bestimmten Körperflüssigkeiten, etwa im Nervenwasser, lassen sich fehlgefaltete Proteine feststellen, die frühzeitig auf eine Parkinson-Erkrankung hindeuten.
KNA: Es bleibt aber dabei, dass Parkinson bis heute nicht heilbar ist.
Claßen: Das stimmt. Aber in diesem Jahre hat es zwei, drei Arbeiten gegeben, die über eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs berichten. Das muss noch überprüft werden. Aber rückblickend wird man möglicherweise sagen, dass 2024 ein entscheidendes Jahr war. Weil es zum ersten Mal gelang, Indizien dafür zu sammeln, dass sich die Krankheit selbst beeinflussen lässt – und nicht nur deren Symptome.
KNA: Wo sehen Sie Lücken in der Forschung?
Claßen: Wir wissen, dass einzelne Symptome wie zum Beispiel eine Riechstörung mehrere Jahre, bevor sich motorische Probleme einstellen, auftreten können. Deswegen wäre es wünschenswert, Tests zu entwickeln, mit denen wir zuverlässig sagen können, dass jemand an Parkinson erkranken wird. Das wird umso wichtiger, wenn wir tatsächlich verlaufsmodifizierende Therapien haben. Denn: Man kann nur dann erfolgreich in eine Krankheit eingreifen, wenn man sie früh erkennt.
KNA: Bräuchte es mehr Geld, um schneller an dieses und andere Ziele zu kommen?
Claßen: Natürlich würde ich mir mehr Geld wünschen – durch die öffentliche Hand, aber auch von privaten Gebern. Ich glaube, dass wir in Deutschland eine sehr starke Forschungsgemeinschaft haben, dass wir exzellent zusammenarbeiten und auf diese Weise sehr viel für die Parkinson-Forschung erreichen können, und zwar auf fast allen Ebenen.
KNA: Das klingt so, als gebe es in Teilbereichen noch Luft nach oben.
Claßen: In Deutschland haben wir immer noch Schwierigkeiten, große Therapiestudien durchzuführen.
KNA: Woran liegt das?
Claßen: Die Infrastruktur in Deutschland ist in diesem Bereich nicht besonders gut entwickelt.
KNA: Das heißt konkret?
Claßen: Sehr viel hängt mit dem Datenschutz und mit einer manchmal überbordenden Bürokratie zusammen. Aber wir sollten über all dem nicht die Menschen vergessen, die jetzt schon an Parkinson erkrankt sind oder die in den nächsten Jahren an Parkinson erkranken werden. Wir brauchen eine bessere Versorgung und Vernetzung derjenigen, die an der Versorgung teilnehmen, also von einzelnen Praxen bis hin zu spezialisierten Kliniken.
KNA: Wer ist überhaupt der erste Ansprechpartner für Patienten oder deren Angehörige?
Claßen: Auf medizinischer Ebene zunächst einmal die niedergelassenen Neurologinnen und Neurologen, aber auch die Fachärzte in Versorgungszentren oder an Kliniken. Darüber hinaus ist eine psychologische Unterstützung für Parkinson-Patienten unverzichtbar.
KNA: Wo und wie findet man die?
Claßen: Selbsthilfegruppen sind in diesem Zusammenhang unglaublich wertvoll. Dazu kommen Anlaufstellen für Aufklärung wie die Parkinson Stiftung.
KNA: Was halten Sie davon, wenn Promis wie Frank Elstner ihre Parkinson-Erkrankung öffentlich machen?
Claßen: Das ist natürlich nicht jedem gegeben, aber es ist ungeheuer wichtig, dass es Vorbilder wie Frank Elstner gibt, die anderen Betroffenen Mut machen, ihnen zeigen, wie man mit einer solchen Erkrankung umgeht und dass man trotz der Diagnose ein erfülltes Leben führen kann.
KNA: Wie viele Parkinson-Erkrankte gibt es eigentlich aktuell in Deutschland?
Claßen: Wir gehen von derzeit circa 400.000 Betroffenen aus, wobei diese Zahl bis 2040 möglicherweise um 50 Prozent steigt, auch weil die Bevölkerung immer älter wird. Parkinson ist laut Statistik die am schnellsten wachsende neurodegenerative Erkrankung noch vor Alzheimer. Daraus ergeben sich viele Herausforderungen auch für unser Gesundheitssystem.
KNA: Sind wir als Gesellschaft dafür gerüstet – zum Beispiel, was die Teilhabe am öffentlichen Leben betrifft?
Claßen: Ich glaube, das ist noch nicht richtig auf dem Schirm. Wir brauchen dringend Konzepte etwa für den Zugang zu Mobilitätshilfen jeglicher Art.
KNA: Neben Parkinson gibt es noch andere Erkrankungen mit Bewegungsstörungen – welche zum Beispiel?
Claßen: Parkinson steht sehr im Rampenlicht. Leider wird darüber vergessen, dass es viele andere Bewegungsstörungen gibt, die das Leben der Betroffenen ebenfalls schwer einschränken können. Viel häufiger als Parkinson ist der sogenannte essenzielle Tremor, den man glücklicherweise durch Medikamente oder Hirnstimulation ganz gut in Schach halten kann, wenn er einmal stark behindernd sein sollte. Anders sieht es bei Chorea Huntington aus. Das ist eine genetische Erkrankung, die sowohl überschießende Bewegungen als auch eine Demenz bewirkt und letzten Endes zum Tode führt.
KNA: Bei Parkinson besteht, wie Sie sagten, die Hoffnung, dass man bald schon in den Krankheitsverlauf selbst eingreifen kann. Gibt es Bewegungsstörungen, wo diese Hoffnung jetzt schon Wirklichkeit geworden ist?
Claßen: Das ist bei einer speziellen Form der Ataxie der Fall. Allgemein verstehen wir darunter Erkrankungen, bei denen es zu einer Störung der Bewegungskoordination kommt. Für die sogenannte Friedreich-Ataxie gibt es inzwischen eine Therapie, die tatsächlich in den Verlauf der Krankheit eingreift.