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Maulbeerbäume als Zeugen einer gescheiterten Geschäftsidee

Die Maulbeerbäume stehen am Rande einer kleinen Straße nördlich von Rudolstadt. Das halbe Dutzend übrig gebliebener Veteranen reckt seine skurril verdrehten Äste in den Himmel. Mit Stammumfängen von bis zu 2,5 Metern sind die fast 200 Jahre alten Bäume laut ostdeutschem Baumarchiv nicht sonderlich hochgewachsen, aber dennoch stattlich.

Es sind die letzten sichtbaren Zeichen eines gescheiterten wirtschaftlichen Experiments der Seidenraupenzucht. Erste Maulbeerbäume in Rudolstadt sind schon für das Jahr 1787 bezeugt. Die Anpflanzungen seien wohl auf Veranlassung von Ludwig Günther II. von Schwarzburg-Rudolstadt (1708-1790) erfolgt, der in seinem Fürstentum nach dem Vorbild anderer deutscher Landesherrn in das Geschäft mit dem Luxusprodukt Seide einsteigen wollte.

Vorbild war Preußens König Friedrich II. (1712-1786). Er ließ ab 1744 rund drei Millionen Maulbeerbäume anpflanzen, die einzige Nahrungsquelle für die Rohseide liefernden Seidenspinner. Die Nachfrage nach chinesischer Seide war bereits im 18. Jahrhundert so groß geworden, dass sie kaum befriedigt werden konnte. Zudem waren die Importe teuer. Der preußische Monarch warb ausländische Spezialisten an und ließ junge Bäume und die Eier des Seidenspinners kostenlos verteilen. Noch heute finden sich in Friedrichshagen, in Zehlendorf oder in einem Hinterhof in der Friedrichstraße viele historische Bäume.

Doch das für die Bäume ungeeignete Klima sowie Schädlingsbefall in Verbindung mit einem hohen Arbeitsaufwand der meist in heimischen Gärten und Häusern produzierten Rohseide führten dazu, dass schon knapp 60 Jahre später das Experiment „Seide aus Preußen“ eingestellt werden musste.

Und nicht nur dort: Ähnlich wie dem „Alten Fritz“ erging es auch den Schwarzburgern in Rudolstadt oder verschiedenen Initiativen im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Im westthüringischen Creuzburg etwa wurde die Raupenzucht nach mehreren gescheiterten Versuchen 1805 eingestellt. Noch einmal ein halbes Jahrhundert später beteiligte sich Großherzogin Maria Pawlowna (1786-1859) finanziell an einem weiteren erfolglosen Versuch, diesen Landwirtschaftszweig neu zu beleben. Laut örtlichem Heimatverein sind die letzten Maulbeerbäume kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Stadtbild verschwunden.

Parallel erlebte die Gewinnung von Rohseide im Herzogtum ab 1847 ihre Renaissance am Standort Jena. Im Umfeld der Universität wurde laut der Historikerin Rita Seifert unter dem Botanikprofessor Ernst Hallier (1831-1904) eine Versuchsanstalt zur Erforschung von Krankheiten im Seidenanbau errichtet, die wohl bis zur Pensionierung Halliers 1884 bestanden hat.

Nach dem Weggang Halliers sollte es mehr als ein halbes Jahrhundert dauern, ehe Jena im Rahmen des Seidenbaus wieder Bedeutung erlangte. Der Grundstein dafür wurde in den 1930er Jahren gelegt, als Seide im NS-Staat für militärische Zwecke benötigt wurde – etwa zur Herstellung von Fallschirmen. Reichsweit wurde der Seidenanbau mit staatlichen Programmen vorangetrieben. 1944 wuchs der Bestand an Maulbeersträuchern in Thüringen auf fünf Millionen Exemplare an.

Die Maulbeeersträucher waren nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg noch vorhanden und das Interesse in der sowjetisch besetzten Zone groß, sich vom Rohstoffimport der Naturseide unabhängig zu machen. In der Jenaer Landesanstalt für Tierzucht wurde laut Seifert schon 1946 eine Seidenraupen-Nachzuchtstation eingerichtet. Ein Jahr später meldete Thüringen bereits einen Gesamtertrag von 500 Kilogramm Seidenkokons an die Sowjetische Militäradministration in Berlin.

Mittelfristig geplant war die Versorgung der Mitteldeutschen Spinnhütte Plauen mit Seidenkokons „Made in GDR“. Bis zu 50 Tonnen Rohseide sollten DDR-weit produziert werden. Doch der Plan wurde regelmäßig deutlich verfehlt. Vermutlich 1964 scheiterte das Geschäft mit der Seide in Thüringen zum vorerst letzten Mal – diesmal nicht wegen Parasiten oder aus Klimagründen. Es hat sich ökonomisch wohl einfach nicht mehr gelohnt, vermutet Seifert.