Marias gefährliche Flucht nach Mexiko

Maria wurde dreimal entführt und hat die Vergewaltigung von fünf Mit-Fliehenden erlebt. „Die jüngste von ihnen war zwölf“, sagt die Venezolanerin, die in Mexiko Zuflucht vor Verfolgung in ihrer Heimat gefunden hat und in Wirklichkeit anders heißt, leise. Es hätte auch sie treffen können. „Es war sehr schwierig, hierherzugelangen, aber ich bin hier, ich lebe, und ich kann es kaum glauben.“

Frauen auf der Flucht durch Mittelamerika und Mexiko wollen meist der Gewalt in ihrer Heimat entfliehen, sei es Guatemala, Honduras, El Salvador, Haiti, Kolumbien oder wie in Marias Fall Venezuela. Aber auch auf dem Weg, der oftmals in den USA enden soll, sind sie dauerhaft in Gefahr. Die geht dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge von Schleusern, kriminellen Banden, dem organisierten Verbrechen, Mitgliedern der Bevölkerung, der Polizei, dem Militär und den Migrationsbehörden aus. So zwingen Sicherheitskräfte und Grenzbeamte Fliehende zum Sex, um sie passieren zu lassen, wie eine UNHCR-Umfrage ergab. Entführung, Erpressung und Vergewaltigung seien an der Tagesordnung.

Sie sei Mitte August in Mexiko angekommen, erzählt Maria, die Trägershirt und Leggings trägt, ein freundliches Gesicht voller Sommersprossen hat und schulterlange Locken. Stockend erzählt sie von ihrer Flucht. Die erste Entführung habe sie im Darién-Dschungel zwischen Kolumbien und Panama erlebt. In dem tropischen und unwegsamen Gebiet, das weitgehend vom organisierten Verbrechen kontrolliert und von Geflüchteten als Hölle beschrieben wird, seien ihr Mann, ihr 14-jähriger Sohn und sie zusammen mit etwa 100 anderen Venezolanerinnen und Venezolanern nach Geschlecht getrennt rund acht Stunden festgehalten worden. Dort sei sie auch Zeugin der Vergewaltigungen geworden.

Schon rein aus körperlichen Gründen sei die Flucht für Frauen gefährlicher, sagt die katholische Ordensfrau Magdalena Silva. Sie leitet die auf weibliche Geflüchtete spezialisierte Notunterkunft Cafemin in Mexiko-Stadt, die vom UNHCR unterstützt wird. „Allein der Gang auf die Toilette birgt das Risiko, gekidnappt oder vergewaltigt zu werden.“ Silva sieht auch die Last moralischer, kultureller und sogar religiöser Vorstellungen auf den Frauen lasten. „Sie werden zu Märtyrerinnen.“ Das sei beispielsweise beim Dilemma zu beobachten, in dem Frauen steckten, wenn sie nach einer Vergewaltigung schwanger seien. „Grundsätzlich ertragen Frauen Misshandlungen und Vergewaltigungen, wenn sie dadurch Schaden von ihren Kindern abwenden können.“

Laut „Ärzte ohne Grenzen“ hat die Zahl der Frauen und Kinder auf dem Weg in die USA seit 2022 deutlich zugenommen. Die Hilfsorganisation betreue seitdem mehr junge Frauen, Schwangere und Stillende, die allein oder mit Minderjährigen unterwegs seien. Es brauche viel mehr Hilfsangebote für sie entlang der Fluchtrouten. Derzeit sind laut dem UNHCR ungefähr die Hälfte der Fliehenden weiblich, rund 30 Prozent Kinder.

Maria hat Venezuela im Mai verlassen, weil sie Angst vor regierungsnahen Schlägertrupps hatte. Sie habe vom Verkauf von Arepas, venezolanischen Teigfladen, gelebt. „Nachdem ich an Protesten gegen die Regierung teilgenommen habe, bin ich von den Bewaffneten daran gehindert worden, den Stand aufzubauen und wurde bedroht.“

Meist mit dem Bus und jeweils über die Grenzen laufend seien ihr Mann, ihr Sohn und sie über Kolumbien, Panama, Costa Rica, Nicaragua und Guatemala gekommen. Verschleppt wurde sie auch jeweils für mehrere Stunden im Grenzgebiet zwischen Costa Rica und Nicaragua und in der guatemaltekischen Stadt Tecún Umán nahe Mexiko. Jedes Mal mussten sie den Kidnappern ihre gesamten Habseligkeiten geben, die sie zuvor von Helfern erhalten hatten.

Dennoch hatte Maria vergleichsweise Glück. Vielleicht fällt es ihr deshalb leichter als vielen Frauen in den Unterkünften entlang der Fluchtroute, ihre Geschichte zu erzählen. Zudem fand sie Zuflucht in einem vom UNHCR geführten Flüchtlingsheim in der südlichen Stadt Tapachula, das ihr nicht nur Obdach und Schutz bietet, sondern auch psychologische Hilfe und rechtliche Beratung. Das ist in Mexiko nicht selbstverständlich. Oft genug geht die Gewalt in den überfüllten Lagern und Notunterkünften weiter.

Im Gegensatz zu den meisten Geflüchteten wollte Maria nie in die USA. „Meine Mutter hat immer mexikanische Filme geschaut. Es ist wie ein Traum“, sagt sie mit einem warmen Lächeln. Die Chancen, hier bleiben zu können, stehen nicht schlecht, denn Mexiko gibt vielen Venezolanern Asyl. Dann will Maria etwas weiter Richtung Norden ziehen, wo die Verdienstmöglichkeiten besser sind, um es wieder mit einem Essensstand zu versuchen. „Noch kennen nur wenige Leute hier die venezolanische Arepa.“