Männer und Frauen über 50 sind die “Generation ‘Jetzt ich!'”
Ältere Single-Männer möchten am liebsten eine jüngere Partnerin. Dieses Ergebnis einer aktuellen Umfrage überrascht wenig – anders sieht es bei den befragten Frauen aus: Die wollen am liebsten gar keinen Partner mehr.
Das Leben gestalten, ohne Kompromisse, wie man es sich selbst vorstellt: Das prägt hierzulande die Beziehungen und das Lebensgefühl der Männer und Frauen zwischen 50 und 70 Jahren. Diese “Generation ‘Jetzt ich!'” habe sich ein selbstbestimmtes Leben erkämpft – und wolle es jetzt auch genießen, sagt Psychologe Stefan Grünewald zu einer am Dienstag vorgestellten repräsentativen Umfrage des Kölner Marktforschungsinstituts rheingold. Wichtig sei es den Befragten beider Geschlechter, ihren eigenen Lebenssinn zu erfüllen. Das Alter sei “in weite Ferne” gerückt.
Bei den Vorstellungen, wie das Privatleben am besten auszusehen hat, gibt es zwischen Männern und Frauen demnach einige Unterschiede. So wünschen sich mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Single-Frauen zwischen 50 und 70 Jahren keine Beziehung. Bei den männlichen Singles sind es 46 Prozent, die keinen Partner wollen.
“Wir wissen aus früheren Studien, dass sich gerade diese Generation der Frauen in ihren jüngeren Jahren in einem Multiperfektionszwang zwischen Partnerschaft, Familie und Beruf zerrieben hat”, erklärt Grünewald. Mit zunehmender Reife pochten sie nun auf ihre Unabhängigkeit und verteidigten ihre Freiräume, manche auch auf Kosten der Verweigerung einer neuen Partnerschaft.
Bei den Männern werde im Gegensatz zu den Frauen in vielen Bereichen weniger auf Entwicklung als auf “Halten” gespielt. Auch in der Sexualität wünschten sie sich mehr Anknüpfung an frühere Zeiten – nach dem Motto “Ich bin nicht alt, ich bin noch der Alte”. Entsprechend legten Männer über 50 auf Beziehungssuche sehr viel Wert auf guten Sex (70 Prozent), während dies nur für 31 Prozent der Frauen Priorität habe. Auch hätten 58 Prozent der Männer eher den Wunsch, eine jüngere Partnerin zu finden; bei den Frauen sind es 30 Prozent.
Insgesamt bilden Singles in der Generation 50 plus die Minderheit. So leben zwei Drittel der Befragten aktuell in einer Partnerschaft – meistens relativ zufrieden; nur acht Prozent sind eher unzufrieden mit ihrer Beziehung. 63 Prozent sprechen demnach von einer Liebesbeziehung, 4 Prozent betrachten ihre Partnerschaft als reine Zweckbeziehung.
Grundsätzlich scheint das klassische Bild der plötzlich auftretenden Midlife-Crisis überholt; stattdessen wird diese Lebensphase als “Midlife-Chance” begriffen, so die Studienautoren. So berichtet ein 67-jähriger Teilnehmer der Umfrage: “Ich will nochmal ein Comedy-Programm auf die Bühne bringen. Das hat mich nie losgelassen, aber irgendwie hatte ich mich bisher nie getraut.” Eine 55-jährige plant, als Granny-Aupair ins Ausland zu gehen. Im Unverbindlichen zu bleiben, verspreche eine Vielfalt an Möglichkeiten – nicht nur bei neuen Paarbeziehungen, so Studienleiter Heiko Thomas.
“Die steigende Selbstbezüglichkeit der Generation 50+ ist auch ein Zeichen des Zeitgeistes. Krisen wie der Klimawandel, Kriege oder der Substanzverlust der deutschen Wirtschaft werden genauso verdrängt und vom eigenen Leben möglichst ferngehalten wie die Zeichen der eigenen Sterblichkeit”, sagt Grünewald. Dies korrespondiere mit einem gesamtgesellschaftlichen Erleben einer Nachspielzeit, die eine vermutlich unbequeme und anstrengende Zeitenwende noch möglichst lange hinauszögern wolle.
Altsein beginnt für 74 Prozent der Befragten erst mit einem Verlust von Autonomie und starken körperlichen Einschränkungen. Besonders die Frauen über 50 fühlen sich demnach jung, ihr gefühltes Alter liegt im Schnitt acht Jahre unter ihrem biologischen Alter; gleich alte Männer fühlen sich demnach sechs Jahre jünger. Entsprechend setzen Frauen die Altersgrenze für das “Altsein” im Durchschnitt um etwa 4 Jahre höher als Männer an: Für Frauen ist man erst mit 72,4 Jahren alt, für Männer bereits mit 68,6 Jahren.
Für die Studie im Auftrag des Weidener Textilunternehmens Witt wurden mehr als 1.000 Personen im Alter von 50 bis 70 Jahren zu ihrem Lebensgefühl und ihrem Beziehungsleben befragt. Zudem wurden 65 zweistündige psychologische Tiefeninterviews geführt.