Madonnen auf Luftpolster-Folie
Bei den schweren Erdbeben im letzten Jahr in Mittelitalien wurden auch Kreuze, Bilder und Heiligenfiguren in den Kirchen beschädigt. Die meisten lagern im Depot und sollen restauriert werden
Die Madonna mit roten Wangen und leuchtend rotem Mund hat etwas Zerbrechliches. Ohne Arme und dennoch scheinbar unbekümmert liegt der Torso in einer Nische des Kunstlagers von Cittaducale, geschützt von luftgepolsterter Folie. Daneben, sorgsam verpackt, lagern Kruzifixe, Holzstatuen und weitere Kunstgegenstände. Es sind die geretteten Bestände aus den Kirchen der Erdbebenregion von Amatrice, die in einem ehemaligen Lkw-Depot der Forstpolizei aufbewahrt werden: rund 16 000 Objekte. In diesen Tagen beginnt ihre Restaurierung.
Bei den Kunstwerken wird gerettet, was zu retten ist
Es riecht nach altem Holz im Depot, wie früher in den Kirchen der Region. Teilweise beschädigte Gemälde stehen hochkant in den Nischen der Halle. Wie Patienten in Krankenhausbetten liegen die stärker zerstörten Bilder in großen Regalen. Kruzifixe wirken wie zeitgenössische Kunst, durch die schützende Verpackung sind nur ihre Konturen zu erkennen.
Knapp eine Woche nach dem ersten verheerenden Erdstoß vom 24. August 2016 wurden in den mittelitalienischen Städten Amatrice und Accumoli die ersten Kunstwerke aus Kirchen geborgen. 80 Prozent der Werke sind mittlerweile in Lagern der vier betroffenen Regionen untergebracht. In Amatrice seien bis heute nur die Straßen von Trümmern geräumt, die eingestürzten Gebäude jedoch nicht, sagt Restauratorin Silvia Borghini.
Fabio Carapezza Guttuso, der Leiter der Kriseneinheit des italienischen Kulturministeriums, hat nicht erst seit den Beben von Amatrice Erfahrung mit bürokratischen Hindernissen bei der Bergung von Kunstwerken. Nur Feuerwehrleute dürften von Hubschraubern aus oder mit Hilfe von Kränen Madonnenstatuen und Altarbilder aus eingestürzten Kirchen bergen, berichtet er. Sie unterstünden nicht den gleichen Sicherheitsregeln wie andere Berufsgruppen. Was nicht in den Kunstlagern der betroffenen Regionen untergebracht sei, werde möglichst nah am Ursprungsort etwa in Diözesanmuseen eingelagert, sagt Guttuso: „Denn die Kunstwerke aus zerstörten Kirchen sind nicht nur Kulturerbe, sondern zugleich Kultobjekte.“
Bei den meisten Werken handelt es sich nicht um bedeutende Kunst. Im Vordergrund steht etwas anderes. „Wir retten alles, was die Identität der Bewohner repräsentiert“, sagt die Leiterin des Depots von Cittaducale, Cristina Collettini. Manche Dorfbewohner überließen die Werke den Feuerwehrleuten nur schweren Herzens. „Sie hatten Angst, sie würden ihre Kunstwerke nie wiedersehen. Es brauchte viel Überzeugungsarbeit vom Dorfpfarrer, vom Polizeichef und von mir“, sagt die Archäologin Federica Di Napoli.
In den Regalen des Depots von Cittaducale werden Monstranzen und Reliquiare ebenso aufbewahrt wie liturgische Gewänder, gedrechselte Säulen von Altaraufsätzen, antike Kirchenmodelle aus Holz und reichlich ramponierte Heiligenfiguren aus den vergangenen fünf Jahrhunderten. Auf einer gepolsterten Palette sitzt eine Gottesmutter und scheint mit dem Jesuskind auf dem Schoß stoisch auf ihre Rückkehr nach Amatrice zu warten. Aus Schalen mit winzigen Freskenresten versucht Silvia Borghini mit Hilfe von Fotos das Originalbild wiederherzustellen. „Es ist ein bisschen wie eine archäologische Ausgrabung“, sagt die Restauratorin. Aus einer anderen Schale sucht sie aus buntem Mauerstaub kleinste erkennbare Stücke, um ihre Plätze im Originalfresko zu finden.
Wann die Kirchen in Amatrice wieder aufgebaut sein werden, aus denen all die Kirchenkunst stammt, weiß niemand zu sagen. Das Depot in Cittaducale wurde als zeitweilige Einrichtung geplant. „Aber manchmal ist nichts dauerhafter als Übergangslösungen“, warnt der Archäologe Roberto Narducci.