“Luther würde heute KI nutzen”
Auf den ersten Blick scheinen Kirche und KI einander auszuschließen: hier jahrhundertealte Traditionen, dort scheinbar unbegrenzte digitale Möglichkeiten. „Dabei kann die Kirche sich viele Entwicklungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz zunutze machen“, sagt Cedric Heinrich dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der 36-Jährige ist Referent für Online-Medien im Evangelischen Kirchenbezirk Leonberg. Als solcher berät er gegenwärtig rund 20 Kirchengemeinden – unter anderem zum Umgang mit KI im Arbeitsalltag.
„Vielen sind die Möglichkeiten bisher schlicht nicht bekannt“, beobachtet er – und beginnt direkt, mögliche Einsatzgebiete aufzuzählen. Pfarrer könnten KI-Plattformen wie ChatGPT oder Copilot als Recherchetool für die Predigtvorbereitung nutzen. Je genauer und konkreter die Befehle an die Künstliche Intelligenz seien, desto präziser falle auch das Ergebnis aus, betont Heinrich. Auch ganze Predigten stellten für die KI kein Problem dar. Allerdings seien die Ergebnisse nach seiner Erfahrung „sehr gemischt“. Das liege auch daran, dass bekannte KI-Programme theologisch aus internationalen Quellen, vor allem aus den USA gespeist würden: „Das sind dann eben keine lutherischen Predigten, wie wir sie hier kennen.“
Auch Religionspädagogen könnten sich die Arbeit deutlich erleichtern, weiß Heinrich. So könne die generative KI beispielsweise Illustrationen für den Religionsunterricht erstellen. Oder sie biete Ideen für Gemeinschaftsspiele: „Ich gebe die Bibelstelle ein, mit der wir uns gerade beschäftigen, die Anzahl der Kinder, die zur Verfügung stehende Zeit – und bitte die KI, mir ein Spiel vorzuschlagen.“ Den Möglichkeiten seien kaum Grenzen gesetzt. So könnten auch KI-generierte Avatare historischer Persönlichkeiten wie Martin Luther interaktiv im Religionsunterricht eingesetzt werden.
Wenn es so einfach ist, warum nutzen dann nicht viel mehr Kirchengemeinden die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz? „Weil das Wissen darum fehlt“, sagt Heinrich. Er spricht von einer „KI-Gap“, also einer Lücke. Während KI im Kleinen bereits sehr vielfältig genutzt werde – vor allem für Spaßanwendungen – und Großkonzerne sich die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz zunutze machten, herrsche dazwischen noch viel Unwissen. Auch in der Kirche. Hier wolle er Abhilfe schaffen. „Martin Luther hat sich damals des Buchdrucks bedient. Heute würde er KI nutzen“, ist Heinrich überzeugt.
In der kirchlichen Verwaltung etwa könne KI administrative Aufgaben übernehmen und Pfarrern so den Rücken freihalten für die geistliche und seelsorgerliche Betreuung der Gemeindemitglieder. „Seelsorge ist etwas so Individuelles, dass Künstliche Intelligenz damit überfordert ist“, sagt Lukas Brand. Der katholische Theologe promoviert an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Anthropologie und Theologie der Künstlichen Intelligenz und sprach im Frühjahr beim Thementag „KI, Ethik, Kirche“ der württembergischen Landeskirche.
KI sei im Kern etwas Mathematisches, das aufgrund angelernter Dinge nach Wahrscheinlichkeiten entscheide. Seelsorgerliche Gespräche könne man damit – zumindest noch – nicht ersetzen. „KI glaubt nichts“, sagt er. Dennoch könne sie für die Kirche zielführend sein. „Auch wenn KI keine eigenen religiösen Überzeugungen hat, kann sie Menschen auf Gott hin ausrichten“, meint Brand. Die Sehnsucht nach Sinn und Segen sei in der Gesellschaft nämlich ungebrochen. Brand plädiert deshalb unter anderem dafür, dass der Umgang mit Künstlicher Intelligenz einen Platz im Theologiestudium bekommt. Denn KI wird auch in der Kirche noch an Bedeutung gewinnen, ist er überzeugt. (2487/06.11.2024)