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Literatur der Philippinen – Fabelwesen und eine korrupte Gesellschaft

Was passiert, wenn ein Mädchen zum Krokodil wird und eine Frau keine Lust mehr auf das Mittelstandsleben in Manila, Hauptstadt der Philippinen, hat? Neue und neu ins Deutsche übersetzte Romane suchen nach Antworten.

Die Philippinen sind Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2025. Vor dem Beginn am 15. Oktober sind eine Reihe an Romanen und Sachbüchern erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Die inhaltliche Vielfalt ist groß: Es geht um Straßenkatzen, Seelenvögel, Korruption und brutale Herrscher.

Es ist ein echter Klassiker: “Gagamba, der Spinnenmann” von Francisco Sionil José, der erstmals 2015 ins Deutsche übersetzt wurde. Den mutmaßlichen Höhepunkt nimmt der 2022 verstorbene Autor gleich am Anfang vorweg: Am Ende wird sich ein Erdbeben ereignen. Doch wie erleben die Protagonisten des Episodenromans die letzten Stunden vor der Katastrophe?

Egal, ob Bettler Joe, Losverkäufer Gagamba, reiche Unternehmer, korrupte Militärs oder Reisende mit schmalen Budget: Sie alle verbindet das Camarin, eine Mischung aus Restaurant, Nachtclub und Bordell. Anhand ihrer Geschichten zeichnet José ein spannendes, vielschichtiges wie verstörendes Bild der philippinischen Gesellschaft. Moralische Abgründe tun sich auf, beschrieben ohne erhobenen Zeigefinger. Die spannendste Frage dabei: Welche Personen werden die Katastrophe überleben?

Wer sich mit der jüngsten Geschichte der Philippinen befassen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei: “Some People Need Killing – Eine Geschichte der Morde in meinem Land”. Die vielfach ausgezeichnete Journalistin Patricia Evangelista dokumentiert darin die Amtszeit von Präsident Rodrigo Duterte (2016 – 2022) und seinen sogenannten Krieg gegen die Drogen.

Als Journalistin für das Online-Magazin Rappler, das 2012 die spätere Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa gründete, traf Patricia Evangelista viele Menschen, deren Angehörige als mutmaßliche Drogendealer erschossen worden waren. Die enorme Brutalität, die die Autorin höchst nüchtern beschreibt, entsetzt und macht sprachlos. Denn häufig müssen Kinder die Grausamkeiten miterleben. Was Evangelista dabei auch gelingt, ist ein Porträt ihres Heimatlandes, aus dem sie nicht wie etwa internationale Journalisten auf Recherchereise fliehen kann.

Ein Haushalt voller Männer: In diesem lebt Amanda Bartolome in den 1970er Jahren in der Hauptstadt Manila. Mit ihrem Mann Julian hat die Protagonisten von Lualhati Bautistas (1945 – 2023) Roman “Die 70er” fünf Söhne und ist hin- und hergerissen. Das Leben in der Mittelschicht scheint bequem, aber keinesfalls erfüllend. Sie möchte raus, arbeiten. Denn die aktuellen politischen Ereignisse – 1972 erklärte Präsident Ferdinand Marcos das Kriegsrecht und unterdrückte zunehmend jegliche Opposition – erlebt sie vor allem durch ihre Söhne, die zur US-Navy oder in den Widerstand gehen, den Schulbesuch verweigern oder früh Vater werden.

“Dekada ’70”, wie der bereits 1983 auf Tagalog erschienene Roman im Original heißt, gilt als Klassiker, der längst verfilmt wurde und Vorlage für ein gleichnamiges Musical war. Spannend dabei: Die Zeit der Marcos-Herrschaft wird aus Frauenperspektive erzählt. Amanda Bartolome ist dabei nicht die mutige, laute Vorkämpferin, sondern spiegelt Zwiespalt und Ungewissheit und somit auch die Lage einer ganzen Gesellschaft.

Graphic Novels haben Konjunktur. In “Die Straßenkatzen von Manila” lässt Künstler Archie Oclos den Alltag in Manila aus Katzenperspektive erzählen. Viel Text braucht es nicht, im Gegenteil. Wenige Worte und präzise Zeichnungen genügen für ein aktuelles Gesellschaftsporträt, das sich gar nicht so sehr von jenem unterscheidet, das Francisco Sionil José mehr als 30 Jahre zuvor mit “Gagamba, der Spinnenmann” zeichnete. Denn es gibt die reichen und mächtigen Gewinner, vor allem aber viele Verlierer.

Details und Hintergründe kann eine Graphic Novel zwar nicht bieten. Trotzdem weckt dieses Werk durchaus Interesse für ein für die meisten unbekanntes Land.

Zahlreiche unbekannte Wesen, die gibt es in “Das Meer der Aswang” von Allan N. Derain. Der Autor nimmt die Leser mit ins 18. Jahrhundert und das fiktive Dorf Bariwbariw. Dort herrscht Angst vor einem Piratenangriff; Pater Hernando – die Philippinen standen mehr als 300 Jahre unter spanischer Herrschaft – will die Bewohner taufen und ihnen christliche Namen geben; zahlreiche mystische Wesen nehmen eifrig Einfluss auf den Alltag und beharren auf alten Traditionen.

Dort lebt die 15-jährige Luklak, die nach dem Tod ihrer Mutter – kurz zuvor gebar diese noch einen Aal – beim Vater aufwächst. Luklak ist mitten in der Pubertät, die doch ganz anders verläuft. Denn ihre Verwandlung in ein Krokodil ist unaufhaltsam. Derains Roman ist verstörend, irritierend und macht doch neugierig auf eine völlig fremde Geisterwelt.