Talent oder Übungssache: Liegt Musizieren in unseren Genen?

Vögel und Wale verschaffen sich mit ihren Gesängen einen Überlebensvorteil. Aber warum musiziert eigentlich der Mensch? Und ist musikalisches Talent angeboren oder doch Übungssache?

Gibt es Gene, die das Rhythmusgefühl bei Menschen steuern?
Gibt es Gene, die das Rhythmusgefühl bei Menschen steuern?Imago / Rolf Kremming

In der Familie von Johann Sebastian Bach gab es musikalische Begabung über mindestens fünf Generationen. Zudem soll der berühmte Komponist im Verhältnis zu seiner Größe außergewöhnlich große Hände gehabt haben, die zu seinem virtuosen Cembalo- und Orgelspiel beigetragen haben könnten. Stellt sich die Frage: Hat musikalisches Talent mit Veranlagung zu tun? Liegt Musik in unseren Genen?

„Ja“, sagt der Rostocker Biologe Jörn Bullerdiek, der gemeinsam mit der Bremer Sängerin Christine Süßmuth ein Buch zu dem Thema veröffentlicht hat. „Es gibt zum Beispiel Indizien dafür, dass bestimmte Gene mit einem bessern Takt- oder Rhythmusgefühl in Verbindung stehen“, erklärt Bullerdiek im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Hamburg.

Studie: Gene für das Rhythmusgefühl

Der Humangenetiker verweist auf eine Studie, die Menschen mit einem guten Rhythmusgefühl und Menschen mit einem schlechten Rhythmusgefühl miteinander verglich. Die Forscher untersuchten das Genom, also alle Gene der Beteiligten. Sie fanden heraus, dass bestimmte Genvarianten in der einen Gruppe häufiger vorkamen als in der anderen. „Ein klarer Hinweis darauf, dass es Gene gibt, die mit dem Rhythmusgefühl zusammenhängen“, so Bullerdiek. Andere Gene trügen dazu bei, dass Menschen besonders gut im Chor singen oder Töne gut erkennen könnten. „Das Extrem ist das sogenannte absolute Gehör.“

Musikerin Süßmuth ist sich sicher, dass ihr gewisse Talente in die Wiege gelegt wurden. Sie habe mit acht Jahren begonnen, Geige zu spielen, und könne Stücke seit jeher gut vom Blatt spielen. „Anfangs hielt ich das für etwas Selbstverständliches“, erzählt sie. „Erst als ich an die Musikhochschule kam, merkte ich, dass das nicht jeder kann.“ Allerdings sei das nur eine von vielen Fähigkeiten, die für das Musizieren wichtig sind, gibt sie zu bedenken. Stücke auswendig zu lernen etwa falle ihr im Gegensatz dazu etwas schwerer.

In der Tat gibt es nicht Musikalitätsgen. „Verschiedene musikalische Begabungen sind auch durch unterschiedliche Gene bestimmt“, erklärt Biologe Bullerdiek. „Und dann kommen natürlich Übung und Prägung dazu.“ Schätzungen zufolge werde etwas mehr als die Hälfte der musikalischen Fähigkeiten eines Menschen durch Veranlagung bestimmt, der Rest durch Umwelteinflüsse.

Aber: „Ohne Üben geht’s nicht“

Eltern, die ihren Nachwuchs zum Musizieren animieren möchten, können also nicht ganz auf die Gene vertrauen. „Sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen und etwa ihren Kindern Gute-Nacht-Lieder vorsingen“, rät Sängerin Süßmuth. „Und auch wenn ich selbst kein ganz einfaches Verhältnis zum Üben hatte, muss ich einräumen: Ohne geht’s nicht.“

Umgekehrt beeinflussen Klänge und Melodien auch die menschliche Genaktivität. „Es hat sich gezeigt, dass Musik die Freisetzung von Dopamin – dem Glückshormon – stimuliert, das für Gefühle von Freude und Belohnung verantwortlich ist“, so Bullerdiek. Es sei belegt, dass Musik den Blutdruck und den Herzschlag menschlicher Zuhörer beeinflussen könne.

Diese Erkenntnisse haben praktischen Nutzen. So wird Musik etwa in der Therapie eingesetzt. „Alzheimer-Patienten können relativ gut Musik lernen – sowohl Lieder, die sie von früher kennen, als auch neue Stücke. Musik regt offenbar ihr Kurzzeitgedächtnis an“, weiß der Biologe. Auch in der Schmerztherapie kommt Musik zum Einsatz. „Hört ein Patient beim Zahnarzt seine Lieblingsmusik, kann das schmerzlindernde Wirkung haben.“

Warum Musik in den menschlichen Genen liegt, ist indes unklar. Vielen Tieren bietet sie einen evolutionären Vorteil. So nutzen männliche Vögel ihren Gesang, um Weibchen anzulocken. Walgesänge helfen den Meeressäugern, Entfernungen einzuschätzen. „Beim Menschen sieht man diesen Vorteil nicht so offenkundig. Es ist schon rätselhaft, wie das beim Menschen zustande gekommen ist.“

Musik weckt positive Erinnerungen

Bullerdiek hat jedoch eine Vermutung: „Das Einordnen von Tönen, Klängen und Geräuschen ist in der Frühzeit des Homo sapiens eine extrem wichtige, vielleicht sogar lebensnotwendige Fähigkeit gewesen. Möglicherweise berührt uns Musik deshalb so, weil sie uns an Geräusche erinnert, die mit positiven Erinnerungen verknüpft sind, wie zum Beispiel das Plätschern eines Bachs oder das Rauschen eines Waldes.“