Licht und Klarheit

Der Heilige Geist weht immer wieder. Aber nur dort, wo er es will. Der Menschheit wäre geholfen, wenn sie ihre Fühler etwas mehr nach ihm ausstrecken würde

Heiliger Geist: Manchmal wünsche ich, es gäbe mehr davon in dieser Welt. Zum Beispiel, wenn ich Nachrichten schaue oder Zeitung lese. Provokation, Streit, Krieg, Verblendung – ach, wie schön wäre es, wenn er etwas öfter unter den Menschen wehte, sie zur Besinnung rufen und zur Vernunft bringen würde. Er muss ja nicht mit Feuerzungen und Brausen vom Himmel kommen, wie es uns die biblische Geschichte vom ersten Pfingstfest erzählt, er kann sich auch leise einschleichen in die Köpfe und Herzen. Aber bedauerlicherweise: Er weht, wo er will, nicht, wo wir wollen.

Für manch einen Gläubigen ist der Heilige Geist der schwierigste Teil unserer christlichen Vorstellung von der Trinität, der Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist, die im Übrigen – wie ich finde – ein ganz wunderbares Geschenk unserer Religion ist. Lässt sie doch viele Möglichkeiten des Glaubens zu: an einen personalen Gott, an den Menschen und den Erlöser Jesus Christus – und eben an eine göttliche Geisteskraft, die Menschen verbinden, Streit überwinden und Gutes schaffen kann. Und dass sie das tut, hat sie nicht nur einmal vor 2000 Jahren in Jerusalem bewiesen, sondern beweist es immer wieder. Auch heute.
Sie allerdings intellektuell zu erfassen, wie es Generationen von Theologen versucht haben, wird ihr am Ende nur zu einem Teil gerecht. Andererseits muss man auch kein religiöser Schwärmer sein oder pfingstlerisch-charismatisch bewegt, um zu verstehen, was der heilige Geist kann – der heilige Geist, den ich hier mit kleinem „h“ schreibe, weil nicht der theologisch-dogmatische gemeint ist, sondern der, der sich auf menschliche Erfahrungen bezieht. Der heilige oder ein heiliger Geist, ein guter Geist, den auch Menschen spüren können, die sich keinesfalls als Christen bezeichnen.

Ich bin überzeugt: Als 1989 die Mauer, aber kein Schuss fiel, hatte dieser Geist seine Hände im Spiel. Oder als sich bei der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 nach millionenfachem Morden und Töten Menschen zusammenfanden, die beseelt waren von der Idee: So etwas darf nie wieder passieren.
Auch die Freilassung Nelson Mandelas und die Abkehr von der Apartheid in Südafrika gehört für mich zu den Wundern, zu denen der heilige Geist seinen Beitrag geleistet hat – trotz aller bis heute ungelösten Probleme in dem Land.
Ja, der heilige Geist weht, wo er will. Manchmal sogar in der Weltpolitik und immer wieder auch im Kleinen: in der Familie, unter Nachbarn oder Arbeitskollegen, wenn man sich nach Streit und Meinungsverschiedenheiten wieder zusammenrauft. Aber klar ist: Frei verfügbar ist er nicht. Noch nicht einmal im Gottesdienst. Leider.
Aber sollten wir deshalb aufhören, um ihn zu bitten? Sicher nicht. „Oh komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.“ Den Versen dieses Pfingstliedes von Philipp Spitta ist nichts hinzuzufügen.