Die tägliche Ausgabe der „tageszeitung“ (taz) erscheint am Freitag zum letzten Mal in gedruckter Form. Die „taz“-Chefredakteurinnen Brabara Junge und Ulrike Winkelmann erläutern gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) den Umstellungsprozess von der Print- zur E-Paper-Ausgabe und sprechen über ihre Erwartungen.
epd: Frau Junge, Frau Winkelmann: Wie lesen Sie denn morgens Ihre Zeitung?
Barbara Junge: Ich lese zuallererst meine ganzen Newsletter, was schon einen ziemlich großen Teil meines Informationshaushalts ausmacht. Dann gehe ich auf verschiedene Online-Seiten und schaue mir als Abrundung etwa die E-Paper von der „Süddeutschen“ und der „taz“ an. Ansonsten höre ich Radio, von der „wochentaz“ habe ich noch das Papier-Abo zu Hause. Aber auch das lese ich in der Regel schon seit Jahren digital.
Ulrike Winkelmann: Dass man in der App schon abends die Zeitung von morgen lesen kann, ist für mich ein Riesenvorteil. So habe ich das Gefühl, dass ich morgens frisch einsteigen kann, wenn ich weiß, was auf den Online-Seiten steht.
epd: Sie haben sich also auch im privaten Bereich schon von Print verabschiedet?
Winkelmann: Die „taz“ hat ihre Mitarbeiter-Abos schon vor Jahren umgestellt, auf das Modell Kombi-Abo: Unter der Woche läuft die „taz“-App und am Wochenende kommt dann die „wochentaz“ als Printausgabe. Ich lese eigentlich alles auf dem Handy.
epd: Warum stellt die „taz“ denn ihre tägliche Printausgabe ein und auf E-Paper um?
Junge: Wenige – und immer weniger – lesen tatsächlich die tägliche Printausgabe. Mit der „Seitenwende“ machen wir einfach das, was für die Branche sowieso ansteht. Die Nachfrage für diese Print-Ausgaben sinkt, das einzelne Papier-Abo wird einfach zu teuer. Wir stehen gerade gut da. Ich würde fast sagen: besser denn je. Wir wollen nicht erst auf die Krise warten, wenn einzelne Druck-Abos nicht mehr bezahlbar sind.
Winkelmann: Das wäre dann der Zusammenbruch des Vertriebs. Der digitale Vertrieb ist natürlich günstiger und in vieler Hinsicht auch praktischer.
epd: Welche Auswirkungen wird die Umstellung auf die redaktionelle Arbeit haben?
Winkelmann: Die größte Umstellung liegt beim Seitenlayout, das mit Musterseiten vereinfacht wird. Die einzelnen Redaktionen müssen sich dann nicht mehr die Seiten mehrfach im Laufe des Tages vom Layout-Team umbauen lassen. Wenn ein Text mal länger oder kürzer wird, kann die Musterseite bis zu fünfzehn Prozent der Textlänge rauf- oder runterrechnen, heißt: Durch die Pufferzone entfällt das aufwändige „Auf-Zeile-Kürzen“. Und weil wir jetzt nicht mehr in den Druck müssen, können wir länger recherchieren.
Junge: Wir sind unheimlich präsent mit unserer Seite Eins, wenn die „taz“ etwa in Büros oder Cafés ausliegt. Das wissen wir. Der Witz und die Schärfe der Seite Eins muss jetzt auch online transportiert werden – über die „taz“ muss gesprochen werden. Wir werden generell mehr Aufmerksamkeit durch „taz.de“ schaffen müssen. Wir ändern dafür einiges im Newsroom und bei den aktuellen Ressorts.
epd: Wie haben ihre Mitarbeitenden in den Reaktionen reagiert?
Junge: Der Prozess dauert ja mittlerweile schon ein paar Jahre, und über die Zeit hat sich das entwickelt. Bei der ersten Verkündung durch den damaligen Geschäftsführer waren viele überrascht, es gab Ängste und Befürchtungen. Aber alle sehen die Entwicklungen in der Branche und was wir an Produktentwicklung betrieben haben. Natürlich gibt es noch ein paar kritische Stimmen – völlig okay. Aber kürzlich hatten wir eine Mitarbeitendenversammlung, da meinte ein langjähriger Kollege zu uns: „Wie habt ihr das eigentlich gemacht? Da sind ja alle zufrieden, früher gab es doch Kämpfe bei solchen Versammlungen.“
Winkelmann: Die Zahlen sind einfach gut, das trägt zur Zufriedenheit natürlich bei. Wir haben mehrfach Zulagen an die Mitarbeitenden ausschütten können, das ist eine total abgefahrene Sache. (beide lachen) Hier arbeiten ja genug Leute, die sich an die Jahre erinnern können, wo wirklich Rettungskampagne auf Rettungskampagne folgte. Die Zeiten sind lange vorbei.
epd: Haben Sie Rückmeldungen aus anderen Chefredaktionen bekommen, so nach dem Motto: Wie läuft das denn bei euch?
Winkelmann: Ich werde schon sehr konkret gefragt. Alle wollen natürlich wissen, wo es hakt, weil die sich ja auch innerlich darauf vorbereiten, einen ähnlichen Weg zu gehen wie wir. Auch sehr kleine Details, etwa in der App, werden erfragt, wo ich denke: Meine Güte, die gucken jetzt aber genau hin.
Junge: Und mit den Zahlen gehen wir ja ganz öffentlich um. Darauf wird natürlich auch genau geschaut. Aber ich finde es ganz toll, wie viele gute Wünsche wir bekommen! Ich habe im Moment fast täglich eine E-Mail von irgendjemandem aus einer Chefredaktion, von befreundeten Kollegen, so nach dem Motto: „Jetzt geht es los, wir drücken euch die Daumen!“
epd: Glauben Sie, dass viele Ihrem Modell folgen werden? Gibt es bald die „Süddeutsche“ oder die „Frankfurter Allgemeine“ nur noch am Wochenende gedruckt?
Winkelmann: Diese beiden nicht als erste. Eher noch weitere Berliner Medien, wäre mein Tipp. Ich höre, dass andere hinter verschlossenen Türen das planen, was wir in aller Öffentlichkeit geplant haben. Bei uns hat damals Karl-Heinz „Kalle“ Ruch („taz“-Geschäftsführer bis 2019, d. Red.) die Vollabo-Quote, also die täglich gedruckte Zeitung, pro Jahr um 2.000 Stück sinken sehen. Er hat vor langer Zeit gesagt, unterhalb einer Auflage von 20.000 kann man den Vertrieb einer Zeitung nicht aufrechterhalten. Für das Jahr 2022 hat er das prophezeit. Das hat sich so nicht erfüllt, wir haben aktuell noch 14.000 normale täglich gedruckte Voll-Abos.
epd: Auf der Internetseite steht, bei den Abo-Preisen bleibt alles beim Alten. Heißt, man zahlt für ein E-Paper-Abo so viel, wie man für ein Print-Abo gezahlt hat?
Junge: Das ist richtig. Man muss aber dazu sagen, dass wir ja durch unser dreistufiges, solidarisches Preismodell unterschiedliche Preise haben. Weil wir finden, dass Journalismus und Informationen für alle da sein müssen. Diejenigen, die viel haben zahlen, damit diejenigen, die wenig haben, nicht oder wenig zahlen müssen. Uns fallen künftig Kosten weg, aber wir investieren in neue Kanäle und Produkte, wie im Moment ganz stark in Video.
Winkelmann: Ich finde die Frage total verständlich: Wenn wir sparen, warum geben wir es nicht an die Kunden weiter? Aber wir sagen auch, ihr zahlt für den Journalismus – nicht für das Papier. Und wir versprechen euch: Hier fließt kein Cent in irgendeinen Unsinn ab, sondern immer nur in den Journalismus. Alles, was die „taz“ jenseits der Nulllinie hat, wird zurückgegeben an die Mitarbeitenden des Hauses.
epd: Die Printausgabe war auch immer ein Argument dafür, Geld für die „taz“ abzugeben. Haben Sie nicht Angst, dass weniger Leute für die „taz“ zahlen? Schließlich haben sie online keine Bezahlschranke für die Texte.
Junge: Wir wissen, dass nicht alle auf das E-Paper umsteigen werden. Im optimistischen Szenario kalkulieren wir, dass 20 bis 30 Prozent nicht mitmachen. Aber unser Angebot ist, dass wir nach wie vor eine abgeschlossene Tageszeitung machen. Wir kuratieren die wichtigsten Themen des Tages, des Auslands, der Kultur. Das kann die Website nicht leisten.
Winkelmann: Ich gehe davon aus, dass es zwei verschiedene Sorten Leser gibt: Die einen, die das abgeschlossene Produkt wollen. Die anderen, die auch die Lebendigkeit der Website schätzen und alle zwei Stunden da was Neues sehen wollen. Aber klar, die Befürchtung haben wir trotzdem.
epd: Wie waren die Rückmeldungen der Abonnenten?
Winkelmann: Wir hatten Aktionen, die wir „Appenings“ nannten, wo wir sehr viel mit unseren Abonnenten geplaudert haben. Wir waren auf unserer „Seitenwende-Tour“ in verschiedenen Städten und haben Leuten erklärt, wie sie mit Tablets das E-Paper lesen können. In unserer Leserschaft sind Menschen, die sind über 80. Meine Mutter ist 83, die sagt auch: „Ich werde nur noch die wochentaz lesen.“ Klar haben wir nicht alle überzeugt davon bekommen, dass die digitale Umstellung eine gute Sache ist. Aber wir haben jetzt teilweise bis zum Überdruss erklärt, warum die Transformation sein muss. Und ganz viele haben dann gesagt: Okay, wenn es die „taz“ geben soll, dann ist das halt jetzt so.