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Landwirtschaft in der Klimakrise: Der Hof Tolle passt sich an

Die Klimakrise macht der Landwirtschaft zu schaffen. Höchste Zeit, sich darauf vorzubereiten, findet Nils Tolle. Mit drei Freunden macht er aus dem Betrieb seiner Eltern einen Klima-Vorzeigehof.

Praktikantin Anna bei der Arbeit auf dem ökologischen Landwirtschaftsbetrieb Hof Tolle in Calden-Fürstenwald bei Kassel
Praktikantin Anna bei der Arbeit auf dem ökologischen Landwirtschaftsbetrieb Hof Tolle in Calden-Fürstenwald bei Kasselepd-bild/Heike Lyding

Es herrscht Hochbetrieb auf dem Hof Tolle. Nach einem verregneten Juli gibt es viel zu tun: Das Heu muss gewendet werden, ein neuer Zaun für die schottischen Hochlandrinder muss her – und gegen Mittag kommen die Wissenschaftlerinnen von der Uni Kassel.

Den Überblick hat Nils Tolle, beigefarbene Kappe, Lederstiefel, muskulöse Arme. Der 32-Jährige hat den Hof gemeinsam mit seinen drei Freunden Marius, Markus und Tim vor ein paar Jahren von seinen Eltern übernommen. Nun will er den Betrieb auf eine neue Grundlage stellen: Damit sie hier, im nordhessischen Calden-Fürstenwald, auch in einer absehbar heißeren Welt noch Landwirtschaft betreiben können.

Klimakrise: Hof Tolle zeigt nachhaltige Landwirtschaft

Der Hof mit seinen 45 Hektar Acker, 15 Hektar Grünland, einem Gemüsegarten mit Tomaten, Lauch und Salat sowie den schottischen Hochlandrindern ist ein Klima-Vorzeigeprojekt. Studierende kommen zur Besichtigung vorbei, neulich war die Landjugend da. Und 2022 wurde das Team für seine Klimastrategie vom Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt mit dem „Blauen Kompass“ ausgezeichnet.

Für Nils Tolle war die Dürre 2018 ein einschneidendes Erlebnis – auch wenn er damals parallel noch studierte. „Da habe ich gemerkt: So klassisch weiter Landwirtschaft machen, das wird nicht funktionieren“, erzählt er. Zwar habe es auch früher trockene und nasse Jahre gegeben – aber eben nicht in dem Ausmaß.

Nils Tolle, vom "Hof Tolle", kontrolliert den Anbau von Kichererbsen
Nils Tolle, vom "Hof Tolle", kontrolliert den Anbau von Kichererbsenepd-bild/Heike Lyding

Der Agrarwissenschaftler Christoph Gornott bestätigt den Eindruck: „Hitze, Trockenheit, aber auch Starkregen haben aufgrund des Klimawandels an Intensität und Häufigkeit deutlich zugenommen“, sagt der Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Für die Landwirtschaft sei das „sehr ungünstig, denn die meisten Kulturen brauchen eine relativ gleichmäßige Verteilung von Niederschlägen und reagieren empfindlich auf extreme Hitze oder Trockenheit“, sagt Gornott, der auch an der Universität Kassel eine Professur innehat.

Agroforst und Bewässerung: Praktische Lösungen gegen Extremwetter

Aus Sicht von Nils Tolle wäre es leichter, wenn es verlässlich trockener würde – denn dann könnte man einfach verstärkt auf trockenresistente Sorten setzen, wie Hirse, Kirchererbsen oder Soja. „Aber es gibt dann eben auch wieder die nassen Jahre oder anderen Extremwettereignisse.“ Zur Aussaat sei immer weniger absehbar, wie sich das restliche Jahr entwickelt: „Baut man also eher trockenresistente Sorten an? Oder solche, die Feuchtigkeit besser abkönnen?“

Die für den Hof entwickelte Klimastrategie soll helfen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Auf einem großen Plakat, das auf einer Flipchart neben dem kleinen Hofcafé mit Selbstbedienerkasse aufgestellt ist, ist der Ansatz in drei konzentrischen Kreisen zusammengefasst. Es ist kein starrer Plan mit einfachen Musterlösungen, sondern eher ein Gerüst, das mehrere Möglichkeiten vorsieht.

Ökologischer Landwirtschaftsbetrieb Hof Tolle mit Hofcafe
Ökologischer Landwirtschaftsbetrieb Hof Tolle mit Hofcafeepd-bild/Heike Lyding

Es geht viel ums Ausprobieren, um den Hof zukunftsfest zu machen. Zum Beispiel wird bereits jetzt der Anbau trockenresistenter Kulturen wie Kichererbsen erprobt, und auch der Ertrag des Gartens ist durch seine Bewässerung etwas weniger anfällig für Dürrephasen. Gegen Stürme oder Starkregen wiederum soll ein Agroforststreifen – also eine Reihe Bäume und Sträucher – auf den Feldern helfen. Zur Strategie gehört aber auch die Direktvermarktung eines Teils der Ernte über eine Gemüsekiste, ebenso wie ein kleiner Hofladen. „Es geht im Kern um eine Streuung des Risikos – und am Ende ums wirtschaftliche Überleben“, sagt Tolle.

Forschung im Feld: Bodenproben als Schlüssel für die Klimakrise

Bisweilen wirkt der Hof dabei wie ein Versuchslabor unter freiem Himmel. Kurz vor der Mittagspause rollt ein Transporter der nahegelegenen Uni Kassel auf das Hofgelände. Mit einem Schlagbohrhammer treibt Versuchstechnikerin Laura Kauz kurz darauf mehrere 90 Zentimeter langen Metallstäbe in die Erde. Die klumpigen Proben werden von ihr und Forscherin Christiane Weiler anschließend ausgekratzt und in durchsichtige Plastiktüten gepackt, bevor sie sich auf den Weg ins Labor machen, wo der Nährstoffgehalt kontrolliert wird.

Versuchstechnikerin Laura Kauz von der Uni Kassel nimmt Bodenproben auf dem Gemüsefeld
Versuchstechnikerin Laura Kauz von der Uni Kassel nimmt Bodenproben auf dem Gemüsefeldepd-bild/Heike Lyding

Ginge es nach Tolle, müsste jeder Landwirtschaftsbetrieb jetzt anfangen, einen auf ihn angepassten Klima-Fahrplan zu entwickeln. „Denn irgendwann ist es zu spät.“ Das Bewusstsein für die Klimakrise sei durchaus vorhanden, „auch in eher konservativen Kreisen“. Aber häufig erschienen andere Probleme dann doch als dringlicher. „Wer 12 bis 14 Stunden auf den Beinen war, dem fehlt dann vielleicht auch einfach die Energie“, sagt Tolle.

Eine der Ursachen für die große Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft sei der große wirtschaftliche Druck. „Für vernünftige Prozesse braucht es Freiräume“, sagt Tolle. Doch die fehlten, weil die Preise für Agrarprodukte im Keller seien. Helfen würden mehr Fördermittel für Bildung und Beratung. Langfristig müssten sich aber die Marktstrukturen ändern.

Doch weil die Arbeit auch auf dem Hof Tolle vorerst nicht weniger wird, packen hier alle mit an, auch Vater Georg Tolle, der den Betrieb mit seiner Frau Beate in seiner heutigen Form aufgebaut und schon früh auf ökologischen Landbau gesetzt hat. Der 66-Jährige sitzt schon den ganzen Tag auf seinem grünen Traktor und wendet Heu – „für mich ist das Entspannung“, versichert er.

Klimakrise auf dem Land: Dürre 2018 als Warnsignal für Bauern

Blickt Georg Tolle zurück, war für ihn genau wie für seinen Sohn die Dürre 2018 „der endgültige Beweis dafür, dass irgendwas passiert ist“. Trockene Jahre habe es auch früher gegeben, etwa 1976, „aber dann auch wieder Dekaden, in denen das Wetter normal war“, sagt er.

Dass er froh ist über den Weg, den der Hof eingeschlagen hat, ist Georg Tolle anzumerken. Doch bisweilen macht er sich angesichts des Klimawandels auch Sorgen. „Es belastet mich schon manchmal, ob ich nicht ein Erbe übergebe, mit dem sie am Ende überfordert sind“, sagt er. Und dann: „Trotzdem ist es immer noch der schönste Beruf, den es gibt.“