Landeskirche will Studie zu sexualisierter Gewalt in Auftrag geben

In den 1980er und 1990er Jahren missbrauchte ein Pastor eine Konfirmandin. Nachdem sie ihren Fall öffentlich machte, haben sich weitere Betroffene gemeldet. Jetzt will die Landeskirche Hannovers die Hintergründe und Ursachen erforschen lassen.

Die ehemalige Konfirmandin ist im vergangenen Jahr an die Öffentlichkeit gegangen
Die ehemalige Konfirmandin ist im vergangenen Jahr an die Öffentlichkeit gegangenScreenshot epd-Video / ekn

Hannover / Nenndorf. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannover will eine eigene unabhängige Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche in Auftrag geben. Im Mittelpunkt stehe dabei ein Fall von schwerem sexuellen Missbrauch unter anderem in Nenndorf bei Hamburg, sagte die landeskirchliche Ansprechpartnerin zur institutionellen Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt, Pastorin Karoline Läger-Reinbold, dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Nenndorf hatte sich ein evangelischer Pastor in den 1980er und 1990er Jahren an einer früheren Konfirmandin vergangen. Die Frau war 2020 an die Öffentlichkeit gegangen, um eine Aufarbeitung zu ermöglichen.

„Wir wollen wissen, wieso das geschehen konnte, ohne dass jemand eingegriffen hat, und warum das die Leitung nicht erkannt hat“, sagte Läger-Reinbold. „Es ist in dem Ort relativ bekannt gewesen, dass da ein Täter gezielt die Nähe zu jungen Frauen gesucht hat.“

Grenzen überschritten

Der Fall sei aus heutiger Sicht eng verknüpft mit der liberalen Pädagogik jener Zeit. Damals habe es in der Folge der 1968er-Bewegung viele Neuansätze in der Jugendarbeit gegeben, auch in der Kirche. Wo Jugendarbeit auf Beziehung gesetzt habe, seien an manchen Orten offenbar auch Grenzen gegenüber schutzbedürftigen Menschen überschritten worden.

Mit der Studie sollten ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet beauftragt werden, sagte Läger-Reinbold. „Wir legen sie in die Hände von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.“ Die Landeskirche will ihnen einen ungehinderten Zugang zu den Akten ermöglichen. Zudem solle es Gespräche mit Zeitzeugen geben. Die Verhandlungen mit den Vertragspartnern seien allerdings noch nicht abgeschlossen. Auch die Höhe der Kosten stehe deshalb noch nicht fest.

In Nenndorf war der mittlerweile verstorbene Pastor Jörg D. für seine engagierte Jugendarbeit bekannt. Der Missbrauch habe über Jahre angedauert, berichtete die frühere Konfirmandin vor einem Jahr. Der Täter habe zunächst etwa bei Freizeiten Grenzen allmählich überschritten, indem er Mädchen umarmte, massierte und an sich drückte. Die Frau hatte 2015 Kontakt zur Landeskirche aufgenommen. Inzwischen haben sich weitere Betroffene in dem Fall gemeldet, auch aus dem Raum Wolfsburg, wo D. ebenfalls Pastor war.

Kein Ende abzusehen

„Die Studie ist eine Tiefenbohrung ein einem Bereich, der uns besonders aufklärungsbedürftig erscheint“, sagte Oberlandeskirchenrat Rainer Mainusch. Möglicherweise könnten in den nächsten Jahren noch weitere solcher Fälle auftauchen, denn wer sexualisierte Gewalt erlebt habe, brauche oft Jahre und Jahrzehnte, um davon erzählen zu können. Deshalb müsse die Landeskirche sehr behutsam vorgehen. „Das ist keine temporäre Aufgabe, die sich in zwei Jahren erledigen lässt. Das wird uns sicherlich noch lange beschäftigen.“

Sieben Disziplinarverfahren

In der Landeskirche sind laut Mainusch bislang 130 Fälle von sexuellem Missbrauch seit 1945 bekannt. 114 von ihnen ereigneten sich in der Nachkriegszeit in Erziehungsheimen der Diakonie. 16 Fälle geschahen in Kirchengemeinden, hier waren Pastoren, Diakone oder Kirchenmusiker die Täter. Seit 1999 eröffnete die Kirche sieben Disziplinarverfahren gegen Pastoren. Zudem wurden vier Mitarbeiter gekündigt oder erhielten Aufhebungsverträge. (epd)