Kunsthistoriker: Hüter der Kunstschätze
Viele sind sich der Schätze, die sie im Gottesdienst benutzen, gar nicht bewusst. Kunsthistoriker Ulrich Althöfer erfasst Kunstgegenstände von Gemeinden und teilt seine Begeisterung dafür mit ihnen.
Ulrich Althöfer macht sich Sorgen um den Abendmahlskelch. „Viele Gemeinden nutzen fürs Abendmahl inzwischen Einzelkelche oder kleine Gläser. Die historischen Kelche werden überflüssig – und was geschieht dann mit ihnen?“
Althöfer hat vermutlich jeden Abendmahlskelch in der westfälischen Landeskirche schon einmal in der Hand gehalten, denn er ist zuständig für die Katalogisierung von Kunstgegenständen in westfälischen Kirchengemeinden. Seit dem Jahr 2000 fährt der Kunsthistoriker von Gemeinde zu Gemeinde und erstellt Verzeichnisse der Kunstgegenstände, die sich in gottesdienstlich genutzten Räumen befinden.
Abendmahlgeschirr und Altaraufsätze, Kronleuchter und Grabplatten, Taufschalen und Turmzifferblätter – er kennt sie alle. „Ich möchte ein Bewusstsein dafür wecken, was hinter diesen Gegenständen steckt, die häufig so selbstverständlich benutzt werden“, sagt er. Wenn eine Gemeinde erfährt, mit wie viel kunsthandwerklichem Geschick ihre Antependien gewebt wurden oder welches theologische Programm ihrem Taufbecken zugrunde liegt, würden die Kunstwerke oft mit neuen Augen betrachtet, hat Althöfer beobachtet.
Für die Abendmahlskelche hat er eine besondere Liebe entwickelt. Etwa für den Kelch, den die Weserschiffer in Vlotho im
17. Jahrhundert gestiftet haben. „Daran sieht man, dass die wirtschaftliche Elite der Stadt sich darum gesorgt hat, das Abendmahl in würdiger und korrekter Weise zu feiern“, erklärt er. Noch dazu findet sich auf dem Kelch die kleine Abbildung eines Handelsschiffes, die eine Vorstellung vom Schiffsbau aus dieser Zeit vermittelt. „Solche Kelche sind Kulturgüter“, sagt Althöfer, „und es wäre schade, wenn sie demnächst nur noch im Tresor stehen.“
Modernen Kunstwerken fehlt oft die Lobby
Immer wieder gab es Epochen, in denen westfälische Kirchen mit besonderer Hingabe künstlerisch ausgestattet wurden. Kurz vor der Reformation, also im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, beruhigten reiche Adlige und Bürger ihre Sorge um das Seelenheil mit dem Stiften teurer Altäre. Sie wurden nach der Reformation einfach weiterbenutzt, obwohl die Bildsprache der evangelischen Theologie zum Teil widersprach.
In der Bielefelder Altstädter Nicolaikirche etwa findet sich ein Altar, auf dem eine Vision des Heiligen Gregor abgebildet ist. Wer vor so einem Altar betete, erhielt nach katholischer Vorstellung Ablass – was die Bielefelder Lutheraner nicht gestört zu haben scheint. In anderen Kirchen wurde der Versuch unternommen, mit „evangelischen“ Kunstwerken einen Ausgleich zu schaffen. In der Oberste Stadtkirche in Iserlohn ließ der Bürgermeister eine Tafel aufstellen, die den spätmittelalterlichen Marienaltar reformatorisch umdeuten sollte.
Aber auch die Jahrzehnte nach 1945 sind kunstgeschichtlich bedeutend. „Die meisten Kirchen und Gemeindezentren, die wir in Westfalen haben, stammen aus dieser Zeit“, sagt Althöfer. „Das hängt mit den Zerstörungen des Krieges zusammen, aber auch mit der Vorstellung, dass jedes Gemeindeglied eine Kirche in unmittelbarer Nähe haben sollte.“
Neuerungen waren etwa moderne Glaskunstwerke, die ganze Kirchenwände einnehmen – ein bedeutendes Beispiel findet sich in der Gemeinde Schwerin im Ruhrgebiet. „Leider haben diese Kunstwerke kaum eine Lobby“, beobachtet der Kunsthistoriker, der auch für die Nachkriegskunst Interesse wecken möchte.
Ein Gesamtverzeichnis der Kunstgegenstände gibt es nicht. Das hat unter anderem mit Sicherheitsüberlegungen zu tun: Eine Datenbank wäre geradezu ein Wegweiser für kriminelle Begehrlichkeiten. Was es jedoch gibt, ist ein „Marktplatz“ im internen Onlineportal der Landeskirche, auf dem Ausstattungsgegenstände angeboten werden. „Allerdings muss man für jedes Kunstwerk eine individuelle Lösung finden“, meint Ulrich Althöfer.