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KI-Pionier: Warum KI keine menschliche Moral besitzt

KI soll effizienter arbeiten als der Mensch. Dabei könnte sich fehlendes Menscheln als entscheidender Schwachpunkt erweisen, meint der KI-Pionier Sepp Hochreiter.

Sepp Hochreiter leitet das Institut für Machine Learning an der Universität Linz
Sepp Hochreiter leitet das Institut für Machine Learning an der Universität LinzImago / Harald Dostal

Sie steuert Autos, stabilisiert Stromnetze und ordnet Supermärkte nach den Konsumenten-Vorlieben: Künstliche Intelligenz (KI) ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Dennoch warnt der deutsche Informatiker Sepp Hochreiter davor, dem virtuellen Gehirn blind zu vertrauen. “Es ist eine neue Technologie, die viel Gutes, aber auch viel Schlechtes bringen kann”, meint der KI-Pionier, der an der Johannes-Kepler-Universität Linz (JKU) das Institut für Machine Learning leitet.

Den Alltagswert von KI vergleicht Hochreiter mit jenem des Autos: “Es führt zu Verkehrsunfällen und Luftverschmutzung – aber es gibt uns auch Mobilität.” Ähnlich verhalte es sich mit der KI, die einerseits für Wetterprognosen, andererseits aber auch für Waffensysteme eingesetzt werde. Überhaupt: So etwas wie soziale Kompetenz oder umsichtiges Weltwissen könnten die meisten KI-Tools nach Hochreiters Ansicht erst in 50 bis 100 Jahren besitzen. Bis dahin plapperten die Programme, ähnlich einem Kind, ihren Erschaffern nach, seien fehleranfällig.

Erfahrungsdefizite von Künstlicher Intelligenz in Notfällen

Ein Beispiel: Ein KI-gestützter Autopilot will einen Zusammenstoß verhindern. Doch statt in das angrenzende Getreidefeld lenkt er das Auto wahrscheinlich über die Klippe daneben. Der KI fehle es an Erfahrung, dass Weizen biegsam ist und nachgibt – und in jedem Fall weniger tödlich endet als der freie Fall durch die Luft.

Hochreiter erinnert: Die KI ist nur so schlau wie die Inhalte, mit denen man sie trainiert. So könne man ihr zwar beibringen, Fake News zu erkennen; letztlich bleibe die Technologie aber selbst manipulierbar. Der Experte verweist auf das Sprachmodell des chinesischen Startups DeepSeek: “Wenn Sie nach bestimmten Ereignissen in der chinesischen Historie fragen, gibt es die dort nicht. Es ist ein blinder Fleck.”

Die KI wird davon beeinflusst, wie Entwickler die Lerntexte selektiert und gewichtet haben. Das betreffe auch US-Tools wie die von OpenAI oder Google. “Der meiste Internet Content kommt aus Amerika. Die Texte, die dort geschrieben werden, haben amerikanische Moralvorstellungen, geben also das wieder, was eine Amerikanerin oder ein Amerikaner sagen würde.” Eine KI, die einem Einbruchsopfer rät, mehr Waffen zu kaufen? Würde ihn nicht wundern, meint Hochreiter lachend.

Experten: Warum KI nicht mit Menschen konkurriert

Und wenn die KI doch erwachsen wird? Seit Jahrzehnten malt Hollywood Horrorszenarien, in denen sich KI verselbstständigt und die Menschheit unterjocht. “Schwachsinn”, beruhigt der aus Bayern stammende Informatiker. Allein schon, weil Mensch und Technologie nicht um dieselben Ressourcen konkurrieren: “Wenn KI wirklich intelligent wäre, würde sie in den Weltraum hinausgehen und sich da sehr viel Sonnenenergie holen. Eine Biosphäre mit Wasser – das ist doch die schlechteste Umgebung für eine KI, die rostet.”

Gefahr hingegen drohe – wieder mal – durch den Entwickler. So spielt KI auch in der Rüstung eine immer bedeutendere und umstrittene Rolle. Nicht mehr allzu ferne Zukunft sind etwa KI-basierte Waffensysteme, die gezielt eine Ethnie oder andere Gruppe angreifen können. Ob man KI generell zu Gewaltfreiheit erziehen kann? “Meines Erachtens nicht”, so Hochreiter.

Viel Internet-Content kommt aus Amerika – US-Tools nutzen daher amerikanische Moralvorstellungen
Viel Internet-Content kommt aus Amerika – US-Tools nutzen daher amerikanische MoralvorstellungenImago / SOPA Images

Der heute 58-jährige Familienvater zog nach Linz, als KI noch in den Kinderschuhen steckte, noch nicht auf jedem Mobiltelefon installiert war. Neben seiner Tätigkeit als Dozent gründete er vor kurzem das Startup NXAI. Das Ziel: KI mithilfe der von ihm entwickelten Technologie “kleiner, schneller und energieeffizienter” zu machen.

Auch ohne große Rechenzentren, die das Klima belasten, soll KI künftig genaue Prognosen erstellen und Herstellungsprozesse effizienter machen. Eingesetzt wird seine xLSTM-Technologie bereits in der Industrie. Doch auch soziale oder humanitäre Ziele könnte man in Zukunft vorantreiben; etwa durch KI, die noch genauer Dürren oder Überflutungen voraussagt.

Fachkräftemangel bremst Europas Künstliche Intelligenz aus

Als KI-Standort sei Österreich nicht ideal, gesteht Hochreiter. Nicht nur, weil das Herz der Technologie in den USA und zunehmend auch in China schlage. Auch innerhalb Europas gebe es Länder wie Frankreich, Deutschland oder die Niederlande, die ihre KI-Strategie mit Milliarden förderten – anders als Österreich, wo häufig wechselnde Regierungen in den vergangenen Jahren eher mit sich selbst beschäftigt waren, meint Hochreiter. Er will mit seinem Unternehmen demnächst nach Deutschland expandieren.

Generell habe Europa aber Aufholbedarf. Das muss er immer wieder feststellen, wenn Amazon, Meta oder Google ihm die Mitarbeiter abwerben, die er zuvor an der Uni auf ein Spitzenniveau ausgebildet hat. “Es ist frustrierend. Auch wenn wir Gegenangebote machen, kommen wir nicht hin, wenn andere ein Jahresgehalt von 600.000 Euro zahlen.” Hoffnung gibt ihm, dass sich der Fokus von Sprachmodellen wie ChatGPT zusehends auf die Industrialisierung von KI verlagere. “Da kann Europa wieder mitmachen”, ist Hochreiter überzeugt.