Kraft durch Gottes Lebensatem

Über den Predigttext zum Sonntag Exaudi: Römer 8, 26–30

Predigttext
26 Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will. 28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. 29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

Für das Leid, dessen Zeugen wir wurden, gibt es keine Worte. In der Nacht des Grauens helfen keine schönen Reden. Paulus, der dies weiß, lenkt unseren Blick an den Anfang der Heiligen Schrift: Gottes Geist, sein Lebensatem, schwebt zitternd über einem Meer aus Grausamkeiten, das eine Erde voller Irrsal und Wirrsal, Chaos und Ödnis umgreift.

So ist es auch jetzt: Gottes Atem streift mit unsagbarem Seufzen über sinnlos zerstörte Städte und grausam zerstörtes Leben. Ein Mann schrie aus den Trümmern heraus: Verschont uns mit euren Gebeten, helft uns lieber! Beten als Ersatzhandlung. So gebührt‘s sich nicht, aber wir tun es andauernd, Ausdruck unserer Ohnmacht.

Schwachheit auf viele Schultern verteilt

Gottes Lebensatem jedoch verteilt unsere Schwachheit auf vielen Schultern, stiftet Solidarität, hilft uns auf, macht uns zu einer tätigen Gemeinschaft von Hoffenden, von Menschen, die einander sagen: Wir finden uns mit dem Schrecklichen nicht ab.
Gott, dem angesichts des unsagbaren Leids der Atem stockt, bezieht Stellung für die, denen all dieses Leid aufgebürdet wird. Gottes leidenschaftliche Parteinahme für sie durchzieht die Zeilen dieses Abschnitts.

Wer das übersieht, macht Gott leicht zum kalten Strippenzieher der Welt und – was die Menschen betrifft – zum selbstherrlichen Erbsenzähler. Dann gliche der biblische Gott einem Zwilling des blinden, erbarmungslosen Schicksals, dem keiner entgeht. Sein Ratschluss und seine Wahl jedoch haben ihren Angelpunkt im Satz: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und das Geschrei über ihre Bedränger gehört, ich habe ihre Leiden erkannt (2. Mose 3,7).

Gott steigt zu einer Gruppe von Versklavten herab, die aus politischem Kalkül beseitigt werden soll, und gibt sich ihr mit der Kraft seines Namens Ich bin bei euch als letzte Hoffnung zu erkennen. So geht ihr in der Nacht ihres Grauens das Licht der Liebe und Treue Gottes auf, das von Anfang an den Bedrängten vorbehalten ist.

Gottes Lebensatem macht Mut zum Protest

In der Hölle der Gewalt weckt Gottes Lebensatem die Erwartung, dass es mit dem entsetzlichen Leid ein Ende haben wird. Wo Gottes Atem weht, kommt Protest auf gegen den Menschen, der das Recht bricht, überwältigt, Lügen und Schrecken verbreitet, für mythische Ziele über Leichen geht, der unermessliche Trauer verursacht.

Wo Gottes Atem weht, verfliegt das Recht des Stärkeren; wo Gottes Atem weht, fliegt aber uns auch die Frage zu: Wieviel davon steckt in uns selbst? Sich diese heikelste aller Fragen schonungslos ehrlich zu stellen, heißt, den Gott zu lieben, der anders ist, und sich danach zu sehnen, dass wir Menschen andere werden.

Wie könnte der Mensch Mensch werden? Nochmals denkt Paulus an den Anfang, daran, wie von den Menschen gesagt wird, dass sie im Bilde des Schöpfers geschaffen seien. Doch eine Wiederholung dieses vertrauten Satzes reicht ihm nicht aus. Eine Gegenwart, die bitterböse ist, lässt alte Wahrheiten wirkungslos verpuffen.

Der Apostel setzt neu an: damit sie gleich sein sollen dem Bild seines Sohnes. Natürlich, Paulus meint Jesus. Aber in der Sicht des Apostels macht erst die Auferweckung aus dem Kreuzestod Jesus zum „Sohn Gottes“. Der Tod hat viele Gesichter: das Gesicht der Gewalt, des Hasses, des Hungers, der Seelenfinsternis. Es stimmt, was der Reformator Johannes Calvin einmal sagte: Es geht nicht ohne viele Auferstehungen. Aus den Trümmern der Zerstörung hebt Gott seine Menschen auf, ruft sie, wie eine Mutter ihre Kinder ruft, sagt: Es ist recht und gut, dass ihr da seid, und stellt sie schließlich ins volle Licht.

Schritt für Schritt in die Freiheit

Der letzte Satz des Abschnitts ist eine Treppe: Tritt für Tritt führt Gott seine Leute aus den dunklen Schutzkellern ins Freie, wo die Menschen einander das Leben gönnen, Alte sich behaglich in der Sonne wärmen, Kinder unbeschwert unter den Bäumen spielen und der Himmel allen offensteht.