Krämer: “Ich hoffe sehr, dass ich kein anderer Mensch werde”
“Die Erwartungen an mich sind sehr groß, das spüre ich bereits”, sagt Klaus Krämer vor seinem Amtsantritt als neuer Rottenburger Bischof. Er sehe aber “die große Chance, mit dem Bischofsamt menschlich zu wachsen”.
Der neue Bischof des Bistums Rottenburg-Stuttgart, Klaus Krämer, tritt am Sonntag (1. Dezember) sein Amt an. Zuvor wird der 60-jährige Theologe im Rottenburger Dom vom Freiburger Erzbischof Stephan Burger zum Bischof geweiht. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte Krämer, wie er auf die Zeremonie der Bischofsweihe blickt. Zudem äußerte sich Krämer zu Forderungen nach einem Diakonat der Frau, zu einer Befristung der Amtszeit von Bischöfen und zur Missbrauchsaufarbeitung.
KNA: Herr Prälat Krämer, während Ihrer Vorstellungsrede im Rottenburger Dom am Tag Ihrer Ernennung klingelte plötzlich Ihr Handy. Sie hatten “ganz vergessen, es auszuschalten”, sagten Sie und ernteten Heiterkeit. Wissen Sie inzwischen, wer Sie da angerufen hat?
Krämer: Das war ein guter Freund. Sehr viele Leute haben mich an jenem Tag kontaktiert. Mein Handy hat richtig gerattert, weil gefühlt zwei Dutzend SMS-Nachrichten gleichzeitig kamen. Am 1. Dezember werde ich das Handy jedenfalls nicht in der Jackentasche haben, das passiert mir nicht noch mal (lacht).
KNA: Am Sonntag werden Sie zum Bischof geweiht und ins Amt eingeführt. Da werden sich manche Menschen fragen: Wird man in diesem Weihe-Moment ein anderer Mensch?
Krämer: Ich hoffe sehr, dass ich kein anderer Mensch werde. Ich habe eigentlich vor, der zu bleiben, der ich bin. Ich habe nie die Theorie vertreten, dass man durch die Bischofsweihe eine Wesensveränderung erfährt oder einen uneinholbaren Wissensvorsprung erwirbt. Ich sehe aber die große Chance, mit dem Bischofsamt menschlich zu wachsen. Die Erwartungen an mich sind sehr groß, das spüre ich bereits. Ich habe unglaublich viel Sympathie und Unterstützung erfahren, viel mehr, als ich erwartet hatte.
KNA: Mancher fragt sich, wo Sie kirchenpolitisch stehen – zum Beispiel in der Frage eines möglichen Diakonats oder einer Priesterweihe von Frauen.
Krämer: Durch die Weltsynode wurde eine Tür für Fragen geöffnet, die viele schon für abgeschlossen hielten. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass es da keine Denkverbote oder Redeverbote gibt. Das gilt aus meiner Sicht in besonderer Weise auch für die Frage der Zulassungsbedingungen für Frauen zu den kirchlichen Ämtern.
KNA: Könnten Sie sich vorstellen, dass in Deutschland ein Frauendiakonat eingeführt wird und woanders nicht?
Krämer: Das sind Dinge, die an die Grundstruktur der Kirche rühren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man den Diakonat der Frau ohne einen grundsätzlichen Konsens in der Weltkirche in Deutschland einführt.
KNA: Aus der Weltsynode kommt auch die Forderung, Laien stärker zu beteiligen bei der Auswahl eines neuen Bischofs. Was halten Sie davon?
Krämer: Das gesamte System der Auswahl der Bischöfe ist zu überdenken. Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern ist das drängend.
KNA: Aber Sie würden nicht so weit gehen, zu sagen, Laien sollten zusammen mit den Domkapitularen an der Bischofswahl beteiligt sein?
Krämer: Ausschließen würde ich das nicht. Das Wahlsystem muss jedenfalls zu geeigneten, kompetenten und von den Gläubigen akzeptierten Kandidaten führen. Es dürfen jedoch keine Wahlkämpfe oder Machtkämpfe ausgetragen werden. Es ist nicht leicht, ein neues System zu entwickeln, aber sehr notwendig.
KNA: Die Weltsynode hat vorgeschlagen, dass Bischöfe eine Art Arbeitszeugnis bekommen sollen.
Krämer: Ich halte es schon für sinnvoll, nach einer gewissen Amtszeit innezuhalten und zu fragen, ob es noch weitergehen sollte oder nicht. Im Ordensbereich gibt es bereits Lösungen, wonach Führungsämter auf Zeit vergeben werden – mit Vertrauensabstimmungen. Es gibt also Modelle, wie auch hohe Leitungsämter auf den Prüfstand gestellt werden.
KNA: Könnten Sie sich das auch für Diözesanbischöfe vorstellen?
Krämer: Ich würde nicht ausschließen, dass man über eine zeitliche Befristung des Bischofsamts und über eine frühere Altersgrenze für Diözesanbischöfe nachdenkt.
KNA: Bisher schreibt das Kirchenrecht vor, dass Bischöfe erst mit 75 Jahren dem Papst den Rücktritt anbieten müssen.
Krämer: Ja, gerade aus dem Ordensbereich könnten wir uns Anregungen für die diözesanen Verhältnisse holen.
KNA: Apropos Zeugnis: Ein schlechtes Zwischenzeugnis hat die seit 2022 arbeitende Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Diözese Rottenburg-Stuttgart dem Bistum für die Zeit bis in die 1990er Jahre ausgestellt. “Verschleierung war ein Dauerzustand”, heißt es darin. Erstmals in den Fokus geriet der heute 91-jährige Kardinal Walter Kasper, der von 1989 bis 1999 Bischof in Rottenburg war. Sie waren von 1994 bis 1997 sein bischöflicher Sekretär. Werden Sie sich seine Amtszeit noch genauer ansehen?
Krämer: Bisher liegen Zwischenberichte der Kommission vor, die nur blitzlichtartig Dinge beleuchten können. Abzuwarten ist der in zwei Jahren erscheinende Abschlussbericht, der eine qualifizierte Sicht auf die Amtszeit von Kardinal Kasper als Rottenburger Bischof zulässt. Ich arbeite eng mit der Kommission zusammen. Sie hat mit mir ein Interview geführt, gerade über meine Zeit als Sekretär bei Kardinal Kasper. Auch mit Kardinal Kasper hat die Kommission umfassende Interviews geführt, die noch gar nicht in den Zwischenbericht eingeflossen sind. Ich habe Kardinal Kasper immer als sehr verantwortungsvoll agierenden Bischof erlebt, war aber mit diesen Fragen als Sekretär selber nicht unmittelbar befasst.
KNA: Das Bistum Rottenburg-Stuttgart hat – anders als zahlreiche andere Bistümer – keine große unabhängige Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben. Es gibt stattdessen einen jährlichen Bericht der Aufarbeitungskommission im Bistum. Wollen Sie auf diesem Weg fortfahren?
Krämer: Ja, wir haben uns entschieden, diesen Weg zu gehen. Mein Vorgänger Bischof Gebhard Fürst hat im Jahr 2002 – und damit sehr früh – die “Kommission sexueller Missbrauch” (KsM) eingeführt. Damit war die Möglichkeit nicht mehr gegeben, Dinge zu vertuschen.
In der 2020 veröffentlichten Gemeinsamen Erklärung des damaligen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und der Deutschen Bischofskonferenz wurde vereinbart, dass die in einer Kommission zur Missbrauchsaufarbeitung auf Ebene der Diözesen bereits erfolgten Ergebnisse der Aufklärung und Aufarbeitung berücksichtigt werden. Dies betrifft die Arbeit der Rottenburger KsM.
In einer Verständigung zwischen unserer Diözese und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung wurde festgehalten, dass unsere KsM den in der Erklärung genannten Kriterien von Unabhängigkeit, Transparenz und Partizipation von Betroffenen in gleichwertiger Art entspricht. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung hat nach intensivem Austausch unserer Diözese bescheinigt, dass ihre Aufarbeitung des Themas als “gleichwertig” mit einem Gutachten anzusehen sei und es deshalb ein solches für die Diözese Rottenburg-Stuttgart nicht braucht. Wie bei meinem Vorgänger ist das Thema Missbrauchsaufarbeitung auch für mich Chefsache.
KNA: Fast alle Bistümer haben in den vergangenen Jahren ihre vielen Pfarrgemeinden zu großen Seelsorgeeinheiten zusammengelegt. Im Bistum Rottenburg-Stuttgart dagegen gibt es noch mehr als 1.000 Pfarrgemeinden. Wie viele werden es im Jahr 2030 sein?
Krämer: Eine Zahl kann ich noch nicht nennen. Es ist aber richtig, dass wir zumindest auf der rechtlichen Ebene noch keine Gemeinden zusammengeführt und aufgelöst haben, sehr wohl aber Seelsorgeeinheiten gebildet haben. Aber dieser Prozess der pastoralen Strukturreform hin zu größeren Einheiten steht nun an.
KNA: Werden Kirchengebäude geschlossen?
Krämer: Derzeit haben wir nicht sakrale Gebäude im Blick, sondern Pfarrhäuser, Gemeindezentren, und Kindergärten. In unserem im Sommer gestarteten Projekt “Räume für eine Zukunft der Kirche” geht es um die beheizte Fläche, mit Blick auf nötige finanzielle Einsparungen, steigende Umweltanforderungen und das Ziel der Diözese, bis 2040 klimaneutral zu werden. Wir haben dabei ein Sparziel von 30 Prozent in einem bis 2030 angelegten Prozess. Das Thema Kirchenschließungen haben wir zunächst zurückgestellt. Aber auch da werden wir rangehen müssen.