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Kommt der Milan, stoppt das Windrad

Windanlagen und Baden-Württemberg – das scheint ein Thema zu sein, das nicht so richtig zusammenpasst. Obwohl die grün-schwarze Landesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreibt, entstehen nur wenige Windparks im Südwesten – im bundesweiten Vergleich gehört das Land zu den Schlusslichtern.

Das hat vielfältige Gründe. Ein besonders markanter ist der Artenschutz, der viele Investoren davor abschreckt, Windparks zu bauen. Die Behörden erteilen Baugenehmigungen nur unter strikten Auflagen. Brütet etwa der streng geschützte Rotmilan, dann müssen während der Brutzeit die Windräder mehrere Monate lang stillstehen. Ein K.-o.-Kriterium für viele Projektierer.

Um beides, Windkraft und Artenschutz, bestmöglich miteinander in Einklang zu bringen, hat das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) einen sogenannten Birdrecorder entwickelt. Ein hochtechnisches und sensibles System, das mit Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen anfliegende Vögel schon aus 800 Metern erfasst, die Vogelart und ihre voraussichtliche Flugroute bestimmt und errechnet. Das Ziel ist, die Windräder rechtzeitig und nur für wenige Minuten – und nicht wie bisher pauschal – abzuschalten.

„Das ist das Herzstück unserer Arbeit“, sagt Nico Klar. „Wir müssen aus größerer Distanz erkennen, ob es sich um einen kollisionsgefährdeten Vogel handelt, und dann schnell entscheiden, ob die Windenergieanlage sanft heruntergefahren werden muss oder nicht.“

Klar ist Projektleiter für den Birdrecorder beim ZSW in Stuttgart. Schon seit mehr als sechs Jahren tüfteln er und sein Team daran, die Anlage so zu verfeinern, robust und verlässlich zu machen, dass sie am Markt eingeführt werden kann. Seit einem Jahr läuft sie bis auf wenige Kinderkrankheiten weitgehend störungsfrei. „Im Sommer 2025“, sagt Klar, „sind wir so weit, dass wir unser System mit gutem Gewissen am Markt anbieten können.“

Der Birdrecorder bei Donzdorf im Landkreis Göppingen arbeitet mit vier fest installierten Kameras, die aussehen wie große futuristische Scheinwerfer. Dazu gibt es zwei bewegliche mit Schwenkneigeköpfen, die hochauflösende Bilder mit einer Art Zoom liefern. „Diese erkennen dann genau, welche Art es ist“, sagt Klar. Bisher haben er und seine Mitarbeiter fast 20 Millionen Bilder aufgenommen, etwa drei Millionen davon sind gefährdete Vögel wie der Rotmilan. „Eine halbe Million Bilder haben wir bereits von Hand beschriftet, um damit die KI zu trainieren.“ Alles für die schnelle Markteinführung.

Noch stehen die beiden Halbsysteme mit ihren Kameras, die jeweils 180 Grad des Luftraums abdecken, neben einem Windrad. Am Ende sollen sie aber an der Windenergieanlage außen befestigt werden. Die Kosten dafür belaufen sich auf rund 150.000 Euro. „Wir liegen damit fast um die Hälfte unter den bereits erhältlichen Geräten“, sagt Nico Klar. Der Wissenschaftler ist selbst gespannt, wie die Vögel reagieren, wenn die Windräder kurzfristig abgeschaltet werden. Bleiben sie in der Nähe? Oder fliegen sie einfach weg? Noch gibt es dazu zu wenige Erkenntnisse.

Klars neuestes Projekt indes ist eine Erweiterung des Birdrecorders: In Zukunft soll er nicht nur Vögel, sondern auch Fledermäuse erkennen können. (2328/16.10.2024)