Die Sommerzeit wird oft mit unbeschwerter Erholung, Reisen und gemeinsamen Momenten verbunden. Doch Urlaub bleibt für viele Familien ein unerreichbarer Traum. Armut und finanzielle Engpässe verhindern, dass zahlreiche Haushalte Ferienreisen unternehmen können. Während manche Familien die Sommerzeit am Strand oder in den Bergen verbringen, müssen viele Kinder und ihre Eltern zu Hause bleiben.
Die Armutsschere in Deutschland zeigt sich hier deutlich. Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes von 2024 können sich in Brandenburg 21,4 Prozent der Menschen keine einwöchige Reise leisten. Diese Realität zeigt sich auch in weiteren Bundesländern. Besonders Alleinerziehende, Alleinlebende und Familien mit geringem Einkommen sind betroffen. Urlaub wird so zum Symbol sozialer Ungleichheit.
Die jüngsten Daten zeigen eine besorgniserregende Entwicklung. Im Jahr 2023 waren in Deutschland 16,6 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, wobei die Quote bei Erwerbslosen (50,7 Prozent), Alleinerziehenden und Menschen mit niedrigem Bildungsstand besonders hoch ist. Der Paritätische Armutsbericht 2024 zeigt zudem, dass einkommensarme Haushalte an Kaufkraft verloren haben, mit einem durchschnittlichen Nettoeinkommen von nur 921 Euro pro Monat.
Teilhabe macht glücklich
Urlaub ist ein Indikator für gesellschaftliche Teilhabe – fehlt er, wird soziale Ausgrenzung spürbar, die das Gemeinwesen schwächt. Armut bedeutet nicht nur finanziellen Mangel, sondern auch den Ausschluss von kulturellen und sozialen Aktivitäten, die für ein erfülltes Leben essenziell sind. Statt echter Abenteuer und neuer Erfahrungen flüchten Kinder häufig in virtuelle Welten. Videospiele und soziale Medien werden zum Ersatz für reale Erlebnisse, die sie sich nicht leisten können. Diese digitale Flucht bietet zwar kurzfristige Ablenkung, kann jedoch langfristig soziale Isolation und Frustration verstärken. Urlaub sollte kein Luxus sein, sondern ein Recht für alle.
Ein Beispiel aus Brandenburg, das unter die Haut geht: Eine alleinerziehende Mutter aus Potsdam erzählt mit Tränen in den Augen, wie sie seit Jahren keinen Urlaub mehr machen konnte. Mit ihrem knappen Einkommen kämpft sie monatlich, die Miete zu bezahlen und ihre zwei Kinder zu ernähren. Der Traum von einer gemeinsamen Auszeit bleibt unerreichbar. Ihre Kinder können nicht an Klassenfahrten teilnehmen, weil die Kosten zu hoch sind. Stattdessen bleiben sie zu Hause, während ihre Mitschüler später von ihren Erlebnissen erzählen. Die Kinder spüren die Unterschiede – sie fühlen sich ausgeschlossen, anders, weniger wert. Diese Scham und soziale Ausgrenzung hinterlassen tiefe Spuren.
Es ist nicht nur die finanzielle Not, die diese Familie belastet, sondern auch die soziale Armut. Die Kinder verpassen Chancen, Freundschaften zu knüpfen, neue Erfahrungen zu sammeln und ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Diese fehlenden Erlebnisse prägen ihre Zukunft, denn Bildung und soziale Kontakte sind entscheidend für ihre Entwicklung.
Eine Kindheit voller Erinnerungen
Hier geht es nicht nur um Urlaub – es geht um Würde, Teilhabe und die Möglichkeit, Kind zu sein. Es ist ein Appell an uns alle, hinzuschauen und zu handeln, damit kein Kind zurückbleiben muss. Denn jedes Kind verdient eine unbeschwerte Kindheit voller Erinnerungen, die ein Leben lang tragen.
Dringende politische Maßnahmen sind erforderlich: Ein armutsfester Mindestlohn und höhere Sozialleistungen, wie eine Kindergrundsicherung, könnten finanzielle Spielräume schaffen. Kostenlose Bildungs- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche können die Teilhabe fördern. Bezahlbarer Wohnraum entlastet Haushalte finanziell und ermöglicht Ausgaben für Freizeit und Erholung. Subventionierte Urlaubsprogramme, wie sie in anderen EU-Ländern bereits existieren, könnten die Teilhabe fördern. Energie, Wasser und Heizung sollten durch Freibeträge abgesichert werden. Die Wirtschaft könnte sich an Sonderprogrammen für Kinder und Jugendliche beteiligen. Und was kann, was muss Kirche tun?
Welche Rolle hat die Kirche dabei?
Sie kann eine zentrale Rolle in der Unterstützung Betroffener spielen und zum Beispiel kostengünstige oder kostenfreie Freizeitprogramme anbieten wie Ferienfreizeiten, Tagesausflüge oder sogenannte Oasentage für Familien und Kinder. Sie kann Räume bereitstellen für soziale Aktivitäten, um so Isolation zu verhindern und Gemeinschaft zu fördern. Kirche sollte sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen, politische Forderungen unterstützen und auf Missstände hinweisen. Außerdem kann Kirche durch Unterstützung und Gemeindepatenschaften Betroffenen helfen, finanzielle und emotionale Belastungen zu bewältigen.
Urlaub ist mehr als nur eine Pause vom Alltag. Er ermöglicht Erholung, stärkt das Wohlbefinden und fördert soziale Bindungen durch gemeinsame Erlebnisse. Der Slogan „Kinder sind unsere Zukunft“ muss eigentlich lauten: Wir müssen uns jetzt um unsere Kinder kümmern, damit sie eine Zukunft haben.
Thomas de Vachroi ist Armutsbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und des Kirchenkreises Neukölln.
