Transfeindliche Gewalt ist in Deutschland auf einem Höchststand. Immer häufiger erleben trans Personen Diskriminierung in Form von Beleidigungen, Bedrohungen und körperlicher Gewalt. All diese Formen von Diskriminierung sind gleichzeitig von psychischer Gewalt durchzogen. Denn immer geht es um die radikale Abwertung des individuellen Empfindens und damit der Person im Ganzen.
Oft erleben transidente Menschen gerade im religiösen Kontext eine Herabwürdigung ihrer Identität. Der Hintergrund ist das traditionelle christliche Menschenbild, das die geschlechtliche Binarität als g*ttgegeben annimmt und dadurch für unantastbar erklärt. Und auch wenn wissenschaftlich längst erwiesen ist, dass die geschlechtliche Identität nicht allein zwischen den Beinen, sondern insbesondere zwischen den Ohren zu verorten ist, wird in christlichen Kontexten regelmäßig auf den Dualismus im Schöpfungsbericht verwiesen (1. Mose 1,27).
Der Schöpfung Raum geben
Queertheologische Kommentare halten dem entgegen, dass bei genauerem Hinsehen in den hebräischen Text erst die Bestimmung des Menschen als „männlich und weiblich“ die G*ttesebenbildlichkeit erklärt. Die Betonung liegt hier auf dem „und“. Damit wird der allseits beliebte Dualismus aufgelöst und der Fluidität des Lebens und damit der Schöpfung Raum gegeben. Doch diese Lesart ist weit davon entfernt, sich durchzusetzen. Dabei wissen wir doch alle, dass es mehr zwischen „Himmel“ und „Erde“ gibt. Und auch wenn im Schöpfungsbericht lediglich von „Tag“ und „Nacht“ bzw. „Licht“ und „Dunkelheit“ die Rede ist, wissen wir alle von der Existenz und Schönheit der Morgendämmerung.
Transgeschlechtlichkeit ist keine krankhafte Abweichung des „Normalen“, sondern Bestandteil der g*ttlichen Schöpfung. Und meines Erachtens wird gerade in den Lebensläufen vieler Transpersonen deutlich, dass die Schöpfung eben kein abgeschlossenes Projekt ist. Wir befinden uns doch alle fortlaufend im Prozess. Und meistens ist das gesellschaftlich auch anerkannt. Insbesondere dann, wenn es um Selbstoptimierung geht. Nur wenn es um die geschlechtliche Identität geht, wird es grenzwertig.

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn wir die Schöpfung nicht als abgeschlossen betrachten würden, sondern so wie es im 1. Johannesbrief steht: „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden…“.
Es geht im Leben nicht allein darum, die Dinge in ihrem So sein zu bewahren und festzuhalten. Vielfach geht es doch auch darum, rechtzeitig loszulassen oder etwas zu verändern. Wichtig scheint mir, dass es dem Leben dient und nicht schadet. Und dann kann wahrhaft Großartige geschehen. Menschen können aufblühen und manchmal erstmals das Licht der Welt erblicken. Und all das immer mit G*ttes Hilfe.
Aber es wäre schön, wenn auch wir uns gegenseitig dabei unterstützen könnten.
Tash Hilterscheid ist die Pfarrperson für queersensible Bildungsarbeit der Nordkirche. Hier schreibt Hilterscheid jeden Monat in einer Kolumne über queeres Leben.
