Köpenicker Blutwoche: Wie die SA NS-Gegner terrorisierte
Ab dem 21. Juni 1933 folterte die SA in Köpenick tagelang rund 500 Oppositionelle, eine Gewaltorgie unter den Augen der Öffentlichkeit. Die „Köpenicker Blutwoche“ erinnert an den brutalen SA-Terror.
Die Berliner Rollkommandos der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) kannten keine Gnade. Schlägertrupps aus Köpenick und Umgebung unter der Leitung von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke verschleppten und folterten ab dem 21. Juni 1933 rund 500 Oppositionelle. Blicke in die Obduktionsberichte offenbaren extreme Brutalität: Über das KPD-Mitglied Josef Spitzer heißt es: „Dieser Mann hat viele auf stumpf einwirkende Gewalt (Stock, Gummiknüppel?) zurückzuführende Verletzungen am Gesäß und Beinen mit erheblichen Blutungen in das darunter liegende Gewebe erlitten. (…) Der Rücken war von oben bis zu den Fersen ohne Haut, das nackte, blutige Fleisch guckte heraus.“
Unter den Opfern der organisierten Hetzjagd, die bis zum 26. Juni dauerte, waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Juden. Mindestens 23 Menschen wurden ermordet. Zu den prominenten Personen, die im stillgelegten Amtsgerichtsgefängnis gefoltert und dort vermutlich erschossen wurden, zählten Johannes Stelling, früherer Ministerpräsident in Mecklenburg-Schwerin (SPD), und Paul von Essen. Er war Sekretär des Deutschen-Metallarbeiter-Verbandes und hoher Funktionär des Reichsbanners, einer Vereinigung zum Schutz der Republik.
Das erste „wilde KZ“
Wenige Monate zuvor, am 30. Januar 1933, war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. Unmittelbar danach breitete sich der Terror der paramilitärischen SA gegen NS-Gegner im ganzen Land aus. In Oranienburg entstand schon im März das erste „wilde KZ“, wohin die SA politische Gegner brachte.
Der Historiker Yves Müller nennt die Köpenicker Blutwoche einen „der bekanntesten Verbrechenskomplexe der Machtsicherungsphase“ der Nationalsozialisten. Heute erinnert im einstigen Köpenicker Gefängnis eine Gedenkstätte an die Ereignisse.
„Totales Versagen der Zivilgesellschaft“
Die Vorgänge sind in mehreren Gerichtsprozessen der Nachkriegszeit gut dokumentiert. Der Göttinger Historiker Stefan Hördler spricht im Zusammenhang mit der „Köpenicker Blutwoche“ auch von einem „totalen Versagen der Zivilgesellschaft“. „Es war eine Bankrotterklärung gegenüber einem System, das noch keineswegs gefestigt war und nicht hoffen konnte, mit extremer Gewalt fast komplikationslos durchzukommen“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Es sei nicht nur um die Einschüchterung Andersdenkender gegangen, erläutert Hördler, der auch die Dauerausstellung zur Blutwoche in der Gedenkstätte kuratiert hat. Den Bürgerinnen und Bürgern sollte mit dieser brachialen Machtdemonstration vor Augen geführt werden, dass der noch junge NS-Staat gewillt war, sein Ziel einer neuen „Volksgemeinschaft“ rigoros durchzusetzen.
Erinnerung an die Ermordeten
Zwei der Ermordeten waren Vater und Sohn Johann und Anton Schmaus. Die Familie wohnte an der Alten Dahlwitzer Strasse in Köpenick, heute Schmausstrasse, in der Gartenstadt Elsengrund nahe des S-Bahnhofs. Johann Schmaus, gelernter Zimmermann, war hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär. Beim Versuch von sechs SA-Männern, den Vater und die Söhne Hans und Anton mitten in der Nacht festzunehmen, eskalierte die Gewalt. Anton, der jüngste Sohn, erschoss in Notwehr zwei SA-Männer, ein Dritter wurde wohl von den eigenen Leuten verletzt.
Zwar gelang Anton Schmaus durch einen Sprung aus dem Fenster die Flucht. Doch die nachgerückten Braunhemden prügelten den Vater Johann Schmaus zu Tode. Anschließend erhängten ihn die Schläger im Geräteschuppen neben dem Haus, um einen Suizid vorzutäuschen. Die damals 13-jährige Tochter Margaretha sah alles mit an. 1996 sagte sie zum vorgetäuschten Suizid ihres Vaters: „Bei seiner Beerdigung sagte ein Polizeibeamter zu uns: ‚Ein Toter kann sich nicht erhängen.’“
Ihr Bruder Anton stellte sich später, überlebte die Torturen in der Haft aber nicht. Seine Schwester berichtete, er sei im Krankenhaus schon auf dem Weg zur Besserung gewesen, „(…) da wurde er von der SA zum ‚Verhör‘ abgeholt. Am nächsten Tag, als jemand ihn besuchte, konnte er nicht mehr sprechen. (…) Den darauffolgenden Tag erlebte er nicht mehr.“
Schreie der Gefolterten
Eine der sechs Folterstätten lag an der Elisabethstraße 23 (heute Pohlestraße 13): das „SA-Lokal Demuth“. Hier starben auf einem Heuboden hinter dem Haus mindestens acht Menschen. „Die Schreie der Gefolterten waren in der ganzen Nachbarschaft zu hören. Um diesen Lärm zu übertönen, ließ der Inhaber des Lokals, Bruno Demuth, der zugleich einer der Hauptschläger war, den Motor seines Motorrads im Hof ständig laufen“, berichtet der Historiker Andreas Neumann. Ein anderes Gebäude, das SA-Lokal „Seidler“ an der Mahlsdorfer Straße im Vorort Uhlenhorst wurde abgerissen.
Sechs Angehörige des SA-Sturms aus Köpenick wurden 1947 und 1948 zu Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt. Das Landgericht in Ost-Berlin verhängte 1950 gegen 61 Angeklagte aus SA, SS, NSDAP und Zivilisten ebenfalls lange Haftstrafen sowie 15 Todesurteile. Sechs davon wurden im Februar 1951 in Frankfurt an der Oder vollstreckt. Doch zahlreiche Täter kamen ungeschoren davon: Mindestens zehn der in Ost-Berlin Angeklagten waren in die Bundesrepublik geflohen und wurden weder ausgeliefert noch angeklagt. 21 der in Abwesenheit Verurteilten setzten sich gen Westen ab.
Info: Stefan Hördler (Hrsg.)‚ SA-Terror als Herrschaftssicherung: „Köpenicker Blutwoche“ und öffentliche Gewalt im Nationalsozialismus, Metropol Verlag 2013. 22,00 Euro