Knobloch: Pogromnacht verfolgt mich bis heute
Sechs Jahre alt war Charlotte Knobloch, als sie 1938 die NS-Novemberpogrome in München erlebte. Zum Jahrestag mahnt die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern den Einsatz für Demokratie an.
Die Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 in München ist bei Charlotte Knobloch noch immer präsent. “Mich begleitet, mich verfolgt sie bis heute”, sagte die 92 Jahre alte Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern am Samstagabend bei einer Gedenkveranstaltung in München. Die Überlebenden versuchten zu vergessen, “was alle anderen niemals vergessen dürfen”.
Ein Teil von ihr sei bis heute das sechsjährige Mädchen geblieben, das voller Angst die Hand seines Vaters halte, erzählte Knobloch. “Das zwischen dem Schreien der Opfer und dem Johlen der Täter durch die Straßen Münchens irrt. Sich den Weg durch Glasscherben bahnt. Das nur weitergeht, weil es muss – und das in jedem Moment mit einer lähmenden Angst kämpft.”
Sie erinnere sich an die Gewalt gegenüber jüdischen Menschen, an die Flammen, die aus der Synagoge geschlagen seien und an Leute, die enthemmt Fenster eingeschlagen und Geschäfte geplündert hätten, so Knobloch. Vor allem aber sei ihr gegenwärtig: “Dass es niemanden gab, der half oder eingriff. Keine Gesten der Unterstützung oder gar des Widerstands kamen an diesem Abend aus der Bevölkerung – außer vielleicht dem einen Hinweisgeber, der meinen Vater warnte, auf die Straße zu gehen. Und selbst dieser Anruf kam anonym. Aber die Straße gehörte dem Mob.”
Die Vergangenheit sei so vergangen nicht, betonte Knobloch. So hätten sich jüngst in Amsterdam mit den Angriffen auf israelische Fußballfans Jagdszenen abgespielt. München sei nicht Amsterdam. Aber wer glaube, dass der Hass, der dort hervorgebrochen sei, hier überwunden wäre, der lüge sich in die Tasche. Wer glaube, Judenhass sei in Deutschland ein überwundenes Phänomen der Geschichte, liege schrecklich falsch. “Antisemitismus besteht nicht nur aus uralten Schwarz-Weiß-Fotos. Wir erleben ihn heute in HD-Qualität.”
Judenhass sei Gift für alle, betonte Knobloch. Er zerstöre, was nach 1945 aufgebaut worden sei und stelle die Antithese des Fundaments aus Offenheit, Toleranz, gegenseitigem Respekt und würdevollem Umgang dar, auf dem die Gesellschaft sowie Wohlstand und Freiheit beruhten.
Knobloch rief dazu auf, sich zu erinnern, damit einen die Vergangenheit nicht einhole. Zudem gelte es, eine politische Kultur zu retten, die von der Menschenwürde aus gedacht sei. “Wir müssen die Extremisten, die den Hass bejubeln und befeuern, überwältigen – im Diskurs und natürlich auch an der Wahlurne.” Demokratie sei unmöglich, wenn man nicht verstehe, was ohne Demokratie möglich werde.