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“Klimperclown” – Helge Schneiders Selbstbildnis zum 70sten

Helge Schneider wird 70. Zeit für ein Filmporträt, das nur er persönlich machen konnte. Denn wer außer ihm versteht bitte sehr, was im Kopf des witzlos lustigen Komikers vor sich geht!?

Um das Phänomen des kuriosesten aller deutschen Komiker zu verstehen, muss man kurz auf Zeitreise nach Kiel gehen. In seiner 121-jährigen Geschichte hat das dortige Studio am Dreiecksplatz schon viel erlebt. Aber was dort 1993 geschah, war selbst fürs älteste Lichtspielhaus der Stadt ungewöhnlich. Mitten im Hauptfilm verließ die Hälfte der Zuschauer den Saal, nicht wenige fluchend. Das wäre indes kaum der Rede wert, hätten die verbliebenen 50 Prozent nicht vor Lachen unterm roten Mobiliar gelegen. Wenn es noch eines abschließenden Beweises bedarf, dass Humor Geschmackssache ist: Ende 1993 lieferte ihn Helge Schneider in “Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem”, als teilte Moses das Meer der Pointen.

Für Fans ein Revolutionär, für alle anderen dilettantisch: So, wie die dadaistische Westerngroteske vor 32 Jahren das Kinopublikum spaltete, wandelt ihr Autor, Regisseur, Komponist und Hauptdarsteller auch kurz vor seinem 70. Geburtstag zwischen Genie und Wahnsinn. Für diesen Balanceakt widmet ihm die ARD nun ein filmisches Spiegelbild. Weil außer ihm selber wirklich niemand in Helge Schneiders Kopf zu blicken vermag, begibt er sich mithilfe seines langjährigen Bühnenpartners Sandro Giampietro nämlich höchstpersönlich auf den Privatgrund des Unergründlichen.

Wer ein konventionelles Porträt erwartet, wird daher enttäuscht. Wer ein unkonventionelles erwartet, allerdings ebenso. “Der Klimperclown”, nach kurzer Kino-Auswertung am Mittwoch im Ersten, dekonstruiert diverse Konstanten klassischer Dokumentationen mit derselben Hingabe, wie es ihr Beobachtungsobjekt womöglich seit Kindesbeinen tut. Auch deshalb setzt der Film bei Helge Schneiders Geburt an, die er folglich mit zwei Handpuppen nachstellt und dazu seine infantil-debile Kopf- und Gaumenstimme der “Katzeklo”-Ära nutzt, die bei vielen Feuilletonisten bis heute verlässlich sämtliche Fußnägel hochklappen lässt.

Knapp anderthalb Stunden stolpert der Jubilar scheinbar ziellos durch sechs Jahrzehnte Bühnenerfahrung. Bereits der Minderjährige tingelt mit Cello und Schnauze durch Ruhrpott-Keller und macht witzlose Witze mit Blumenkohl oder Kanapee. Als Erwachsener dann vermischt er Unfug mit Jazz zu einer Art multiinstrumentellem Nihilismus, den sein Fundus absurder Perücken, Anzüge, Brillen oder Plateauabsätze zusätzlich dekonstruiert. Das wirklich Absurde aber: Wie im Kieler Kinosaal lacht sich die Hälfte der Deutschen schlapp, sobald er “meine Schuhe, die lieb’ ich sehr / ohne Schuhe, wär’ ich nicht hier” singt.

Wenn der Gitarrenvirtuose – und Klaviervirtuose und Saxofonvirtuose und Geigenvirtuose und Schlagzeugvirtuose und Akkordeonvirtuose – dazu schräge Tonfolgen zupft, belegt er schließlich das ungeschriebene Filmgesetz, nur gute Eiskunstläufer könnten schlechte Eiskunstläufer spielen, und lüftet dazu einen Teil seines Scherzgeheimnisses: Niemand füllt die Leerstellen unserer Logik virtuoser mit Nichts als der Sohn eines Fernmeldemonteurs und einer Finanzbeamtin.

Geboren wurde Helge Schneider am 30. August 1955 in Mühlheim an der Ruhr. Also 30 Jahre vor jener Medienrevolte, denen auch die Mauern der herrschenden Lachhaftigkeit nicht standhielten.

Ab Mitte der 1980er Jahre nämlich beginnt das eben erst gestartete und noch junge Privatfernsehen, namentlich RTL und Tele5, heitere Leichtbaubrücken über den Frohsinnsmainstream zu errichten. Zwischen Hallervordens Glubschaugen-Klamauk und Hildebrandts Studienräte-Kabarett legen schon bald Anarchos wie Christof Schlingensief und Hape Kerkeling, Harald Schmidt und Herbert Feuerstein, Bully Herbig und Corny Littmann – also viele Männer und außer Anke Engelke kaum eine Frau – den Humor ihrer Tage zugleich höher und tiefer. Alles hochverdichtet auf 86 Minuten “Texas”.

In dessen “Verweigerungskomik”, schrieb damals der Filmkritiker Georg Seeßlen, sei “immer was los”, man wisse “nur nicht genau was”. Rettungslose Schönseher hätten sich vom “Klimperclown” womöglich Aufklärung erhofft, was genau in den vier Fortsetzungen, sieben Kriminalromanen, elf Hörbüchern, zwei Dutzend Cameo-Auftritten und Abertausend Liedern wie “Es gibt Reis, Baby” oder “Katzeklo” inhaltlich genau los ist. Kleiner Spoiler: Statt alte Fragen zu beantworten, stellt der Film lieber ein paar neue.

Zum Beispiel, ob der gereifte Kelly-Family-Sänger Angelo jetzt echt Helge Schneiders Schlagzeug-Roadie ist – und falls nicht, warum ihm die ARD geschlagene zwei der 82 Minuten von herausragender Belanglosigkeit beim Schlagzeugaufbau zusieht.

Überhaupt: das Klimperclown-Personal… Helge Schneider holt den halben “Texas”-Cast in sein Selbstporträt und verbringt mit ihm Zeit ohne Zeitvertreib, geschweige denn Sinn und Verstand. Einfach Menschen mit Menschen beim, tja, Menschsein oder auch mal allein mit sich, einem Handstaubsauger und Frank Sinatra im Wohnmobil.

Was an der Loseblattsammlung früher Homevideos, späterer Kinofilme, frischer Konzertmitschnitte und neuer Dokumentaraufnahmen real oder erfunden ist, Fiktion oder Dokumentation, weiß nur Helge Schneider allein. Weit wichtiger als jede Wahrhaftigkeit ist ohnehin, dass dem kuriosesten, vor allem aber uneitelsten aller deutschen Komiker völlig egal zu sein scheint, was andere, also wir, die Welt, das Publikum, von ihm denken. Derlei warmherzige Kaltschnäuzigkeit allein ist bereits lustiger als alle Bühnenprogramme selbsterklärter Comedians zusammen. Wer das bestreitet, bitte den Saal verlassen!