Kleines Sternchen, großer Streit: Warum Genderwahn auch guttut

Feminismus, Geschlechterstudien und Gendersternchen polarisieren, die Fronten scheinen verhärtet. Eine Genderforscherin versucht zu vermitteln und plädiert in puncto Sprache für mehr Freundlichkeit.

Gendersprache wird noch von der Mehrheit ignoriert
Gendersprache wird noch von der Mehrheit ignoriertImago / Christian Ohde

Wer gendert, erntet Applaus und Buhrufe. Doch nicht nur geschlechtergerechte Sprache ist ein Zankapfel, Geschlechterstudien und Feminismus haben es laut der in Hamburg lebenden Genderforscherin Stevie Schmiedel wegen festgefahrener Standpunkte insgesamt zunehmend schwer in Deutschland. Mit ihrem neuen Buch „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne. Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut“ wolle sie alle Menschen an einen Tisch holen und dazu einladen, „die Thematik ruhiger, freundlicher und niedrigschwelliger zu erklären“.

Die deutsche Sprache stammt laut Schmiedel aus Zeiten des Patriarchats, in denen Frauen als Subjekte nicht vorkamen. Heute zeigten Gendersternchen bzw. -doppelpunkt, dass es neben Männern auch Frauen sowie Geschlechter dazwischen gebe. Dass es insbesondere zwischen Alt und Jung zu Konflikten kommt, wundert Schmiedel nicht: „So vehement, wie die Jugend bei Gender-Themen vorgeht, können Ältere schon mal Angst haben und sich nicht respektiert fühlen“, sagt sie.

Sprache hat viel mit Identität zu tun

Juniorprofessor Lars Vorberger vom Institut für Germanistik an der Uni Hamburg erwähnt in Bezug auf Ältere und Sprache den Gewohnheitsaspekt: „Es gibt auch heute noch ältere Menschen, die ‚dass‘ mit ‚ß‘ schreiben.“ Dass sich Geister unabhängig vom Alter am Gendern scheiden, hat für Vorberger zwei Gründe. Der erste lautet: „Sprache hat ganz viel mit Identität zu tun und weckt somit auch emotionale Reaktionen. Deswegen sind Debatten über Sprache häufig polarisierend.“

Zweiter Aspekt sei, dass es vielen Menschen anstatt um Sprache in Wirklichkeit um etwas anderes gehe: „Vielen der Gegner:innen von geschlechtergerechter Sprache geht es allgemein um gesellschaftliche Entwicklungen. Sie sind gegen die Anerkennung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, und das manifestiert sich dann in so einem sprachlichen Sonderzeichen wie dem Stern oder dem Doppelpunkt.“ Grund hierfür sei, dass diese Zeichen im Gegensatz zur gesellschaftlichen Entwicklung „so schön greifbar“ seien.

Mehrheit lehnt gendern noch ab

Umfragen zufolge lehnt noch immer die Mehrheit der Deutschen die gendergerechte Sprache ab. Darauf habe auch der Rat für deutsche Rechtschreibung hingewiesen, weshalb sie faktisch zustimmen würde, dass zumindest öffentlich-rechtliche Medien eigentlich nicht gendern dürften, erklärt Schmiedel. „Ein Kompromiss könnte darin bestehen, wenigstens im Fernsehen nur in subjektiven Kommentaren zu gendern, in objektiven Nachrichtenmeldungen aber nicht.“

Vorberger betrachtet solche Umfragen mit Skepsis: Er glaube nicht, dass die Mehrheit gegen Gendern sei, eher sei sie „gegen die ganz progressiven Ausprägungen“ wie Stern oder Doppelpunkt. Dagegen akzeptierten viele Menschen Doppelformulierungen wie „Bürgerinnen und Bürger“. Das sei ebenfalls geschlechtergerechte Sprache, wenn auch dem binären Mann-Frau-System verhaftet.

Aufklärung als wichtigstes Instrument

Er halte Aufklärung für das Wichtigste. Und zwar darüber, dass geschlechtergerechte Sprache viel mehr sei als ein Sonderzeichen. Menschen müssten den Sinn und Nutzen des Genderns erkennen. Stevie Schmiedel war als junge Frau zunächst gegen das Gendern. Erst als ihre eigene Tochter sie dafür kritisiert habe, dass sie von „Erziehern“ sprach, obwohl fast alle gemeinten Personen weiblich waren, sprang bei ihr der Schalter um – seitdem gendert auch sie.