Der rote sakrale Backsteinbau auf dem Berliner Hohenzollernplatz wirkt wie ein riesiges Industriedenkmal mit Schornstein. Das trug der Kirche sogar Beinamen „Kraftwerk Gottes“ ein. Sie ist ein architektonisches Spiegelbild ihrer Zeit. 1927, als die selbständige Stadt Wilmersdorf nach Groß-Berlin ein-gemeindet wurde und massives Gemeindewachstum verzeichnete, erwarb die Kirche Land am Hohenzollernplatz und schrieb einen Wettbewerb zum Kirchenbau aus. An diesem beteiligten sich namhafte Architekten aus dem In- und Ausland. Der Auftrag ging 1928 an den Hamburger Architekten Fritz Höger, der sich formell gar nicht am Wettbewerb beteiligt hatte.
Ende September 1930 erfolgte die Grundsteinlegung und im März 1933 die Einweihung des neuen Gotteshauses, das mit Nebengelass wie Büros, Wohnungen und einem grandiosen Gemeindesaal im Untergeschoss ausgestattet war. Im Gegensatz zur Außenhülle, die klar strukturiert, linear wirkt, typisch für den Backsteinexpressionismus, überrascht das Innere mit einer hohen Halle, Leicht- und Luftigkeit und rundem, spitzbogigem Gewölbe. Auch wenn Details an den Fenstern, die blaue Gewölbefarbe, die einst mit Lichteffekten erzeugt wurde, nicht mehr original sind, da das Haus im Zweiten Weltkrieg beschädigt wurde, kann das meiste heute im „Urzustand“ besichtigt werden.
Ossip Klarwein: Chefarchitekt im Büro Höger
Dass der realisierte Entwurf von 1928 aus dem Büro Höger nicht aus dessen Kopf und Zeichenfeder geflossen ist, wird Kirchenbesuchern zurzeit in einer spannenden Ausstellung gezeigt. Eine überaus erstaunliche und erhellende Schau, die anschließend nach Hamburg und eventuell nach Israel wandert. Es ist die erste monografische Ausstellung über den Kirchen-Entwurfsverfasser Ossip (Joseph) Klarwein, zu der jeden Donnerstag auch eine Führung angeboten wird.

Ossip Klarwein war Chefarchitekt im Büro Höger. Wie intensive Forschungen seit 2022 ergaben, stammen etliche Entwürfe von Fritz Höger zugeschriebenen Bauwerken von Ossip Klarwein. So ist dessen Name in Deutschland bislang kaum jemandem ein Begriff. Die Initiatorin und Kuratorin der Ausstellung, Jacqueline Hénard, kam zufällig an dieses Thema und eine Aufgabe, die sie und rund 100 weitere Mitstreiter – Archivare, Architekten, Grafiker, Übersetzer und andere Spezialisten – mehr als drei Jahre fesseln und herausfordern sollte.
Historikerin Hénard entdeckt Leben und Werk von Ossip Klarwein
2018 bezog Hénard gegenüber der Kirche eine Wohnung. In der Kirche entdeckte sie eine kleine Tafel mit der Information, dass Ossip Klar-wein 1928 dieses Haus und 1957 die Knesset in Jerusalem entworfen hätte. Man kann davon ausgehen, dass damit die Neugier der Historikerin und Journalistin entbrannt war. Sie schlug innerhalb eines musikalischen Formats ein Konzert zu Ehren Klarweins vor und wurde gebeten, doch eine kleine Ausstellung dazu zu gestalten. Kein Problem für eine Historikerin? Im Internet fand Jacqueline Hénard fast nichts über Klarwein. Die wenigen Spuren, so nach Israel, verfolgte sie zielstrebig, weitete ihre Kreise aus, sammelte immer mehr Mitstreiter. Sie besuchte Archive und die Familie Klarwein, sodass am Schluss eine Vita, ein Werkverzeichnis, also ein wissenschaftlich untermauertes Werk als Katalog über einen bedeutenden und hier zu Unrecht unbekannten Architekten entstanden.
Ossip Klarwein prägte das Gesicht Israels nach seiner Emigration
Die Ausstellung möchte Besuchern ein umfassendes Bild des umtriebigen Architekten in einer bewegten Zeit geben. Dazu zeigt sie Fotos, den Nachbau des Modells von Klarweins verschollenem Wettbewerbsentwurf für die Knesset und eine interaktive 3D-Modellierung vom Originalentwurf für die Kirche Am Hohenzollernplatz. Dazu noch das erste Werkverzeichnis dank Johannes Cramer und Einsichten ins Private. Klarweins Spuren sind im späteren Israel präsent, wo er entscheidend das Gesicht des neu entstandenen Staates prägte. Ideen und Inspirationen von seiner Arbeit in Deutschland nahm er bei seiner Immigration 1933 mit. Als im selben Jahr die Kirche Am Hohenzollernplatz geweiht wurde, war Ossip Klarwein nicht mehr dabei. Dafür Fritz Höger, strammer Gefolgsmann der NSDAP und bekennender Judenfeind. Er hatte sich inzwischen der jüdischen Mitarbeiter in seiner Firma entledigt. Ossip Klarwein, wie viele jüdische Deutsche getauft und katholischer Christ, war einer von ihnen.

Ossip Klarwein gestaltete öffentliche Gebäude und Kirchen nachhaltig
Er startete seinen Neuanfang im britischen Mandatsgebiet Palästina, zunächst mit Wohn- und Geschäftshäusern sowie Grabstellen. Große berufliche Herausforderungen sollten folgen: Friedhöfe, Staatsbank, Universität, Bahnhöfe, Getreidespeicher, Schulen und Krankenhäuser, die Knesset. In Deutschland hinterließ er mit der Konsumzentrale Leipzig, dem „Anzeiger“-Hochhaus in Hannover, der Reemtsma-Zigarettenfabrik Hamburg und etlichen christlichen Kirchen bleibende Werke, derer man sich nun bewusst werden kann.
Bis zum 16. Oktober ist die Ausstellung „Vom Kraftwerk Gottes zur Knesset“ Mo und Do von 16 bis 18 Uhr, Mi von 11 bis 13 Uhr und Sa von 13 bis 15 Uhr zu besichtigen, jeden Do um 18 Uhr veranstaltet der Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin eine Führung.
