Kirchen inmitten von wilden Wiesen

In alten Pfarrgärten und auf Grünflächen neben Kirchen entstehen naturnahe Räume für Tiere und Menschen. Mitunter sorgt das anfangs für hochgezogene Augenbrauen.

Michael Feiler betreut die Wildblumenwiese an der Kirche im baden-württembergischen Röhrenbach
Michael Feiler betreut die Wildblumenwiese an der Kirche im baden-württembergischen RöhrenbachPrivat

Im Schweiße seines Angesichts solle der Mensch sein Brot essen. So hat es Gott höchstselbst verfügt, steht im ersten Buch Mose. Was für gewöhnliche Christenmenschen galt, traf einst auch für viele Pfarrer zu. Einen Teil ihres Solds mussten sie selbst erwirtschaften. In alten Zeiten gehörte daher zu vielen Kirchengemeinden ein Pfarrgarten, in dem der Herr Pfarrer – oder in Norddeutschland der Herr Pastor – beim Kartoffel- und Gemüseanbau schwitzte.

Heute spielen Gärten für das materielle Auskommen von Geistlichen keine nennenswerte Rolle mehr. Aber die Gärten sind oft noch da. Mancherorts entdecken Kirchengemeinden für sie ganz neue Nutzungen: Sie verwandeln sie mit Wildblumenmischungen und Insektenhotels in kleine Refugien für die Natur.

Tierparadies unterm Apfelbaum

Zum Beispiel in Langenreichenbach, zwischen Leipzig und Torgau gelegen. Im Pfarrgarten dort ist ein Tierparadies mit Gebüschen entstanden. Um einen Apfelbaum herum bietet ein Bankrondell Sitzgelegenheiten, eine Blühwiese ist noch angedacht. „Der Garten war zuvor ziemlich verwildert“, sagt Richard Jäger. Er ist der Ehemann der Pfarrerin und Teil einer Gruppe von Ehrenamtlichen, die das Projekt geplant und umgesetzt hat. Eine Förderung dafür kam vom Freistaat Sachsen. Jäger hat als Hobbyimker auch ein paar Bienenstöcke aufgestellt.

Ein Teil des Gartens blieb in seinem verwilderten Zustand. „Mit einem Tümpel und viel Totholz“, erzählt Jäger. Von einem Plateau aus kann man die Entwicklung der Natur dort beobachten. „Vor allem Kinder interessieren sich sehr dafür“, berichtet er. Denn die beiden örtlichen Kitas besuchen öfter mal den Garten. Auch Größere sollen sich hier über ökologische Zusammenhänge informieren können, in einer zugehörigen alten Scheune gibt es beispielsweise Seminare über Umweltschutz.

Volle Blüte auf der Wildblumenwiese in Röhrenbach (Baden-Württemberg)
Volle Blüte auf der Wildblumenwiese in Röhrenbach (Baden-Württemberg)Privat

In Rothenberg im hessischen Odenwald hat der Alte Schulgarten 2020 ein neues Gesicht bekommen. Trotz seines Namens gehört er der evangelischen Kirchengemeinde. Vor zwei Jahrzehnten tauschte sie ihren Pfarrgarten gegen den Schulgarten ein, weil die Kommune den Pfarrgarten zur Erweiterung des Friedhofs brauchte. Auch Lehrer mussten einst im Schweiße ihres Angesichts für einen Teil ihres Einkommens sorgen.

„Das war ein Projekt, bei dem das ganze Dorf mitgewirkt hat“, berichtet Rotenbergs Pfarrer Reinhold Hoffman. Ehrenamtliche aus Gemeinde und Vereinen entfernten Dornengestrüpp oder schütteten Kieswege auf. Ein Teil der Fläche des Gartens wird nicht gemäht, Hecken und alte Apfelbäume bieten Tieren Unterschlupf. Aber auch in Rothenberg soll das Tierparadies als Begegnungsort auch den Menschen dienen. Der Männergesangverein trat hier auf, ein Videogottesdienst entstand hier. Und nach Hoffmanns Worten soll der Schulgarten für Besucher des benachbarten Friedhofs ein Rückzugs- und Ruheort werden: „Hier soll man nachdenken können über den Tod und das Leben, über die eigene Lebensgeschichte.“

Immer freitags kam der Rasenmäher

Nicht nur in Pfarrgärten, sondern auch auf anderen kirchlichen Grundstücken blüht es. In Mittelhessen beispielsweise hat das Evangelische Dekanat Gießener Land das Projekt „Bee-friendly“ gestartet. Gemeinden aus dem Dekanat können den Rasen um ihre Kirchen oder andere Grünflächen insektenfreundlicher machen, mehrere haben ihre Gotteshäuser bereits mit Blumen umgeben.

In Röhrenbach im baden-württembergischen Bodenseekreis ist die Grünfläche um die katholische Kirche herum bunter geworden. Vorher habe sie nur aus kurz geschnittenem Rasen bestanden, beschreibt Michael Feiler: „Immer freitagnachmittags oder samstagvormittags kam der Rasenmäher, damit es sonntags zum Gottesdienst ordentlich aussah.“ Feiler arbeitet als Gesundheits- und Krankenpfleger, ist aber auch gelernter Landwirt. Seine Initiative, eine Wildblumenwiese auszusäen, sei in der Kirchengemeinde zuerst vorsichtig aufgenommen worden. „Die Bedenken waren: ‚Was sagen denn da die Leut‘?“, erinnert er sich. Deswegen sei der Bereich links und rechts des Eingangs zur Kirche bis heute akkurat gestutzter Rasen.

Aber neben und hinter der Kirche durfte Feiler im April 2019 aussäen. Als dann die ersten Blumen blühten, kamen auch die Komplimente. „Ich werde ganz oft darauf angesprochen, wie schön das aussieht“, sagt Feiler. Gerade am Anfang habe das alles natürlich keinen so gefälligen Anblick geboten. „Aber da muss man viel aufklären“, sagt er. Offenbar hat er das mit Erfolg getan, denn die Kirchenwiese war nur der Anfang. Mittlerweile würden auch viele Privatleute aus der Umgebung Teile ihrer Grundstücke in Blumenwiesen umwandeln.