Kirchen im Norden verlieren viele Mitglieder

Durch teils dramatisch gestiegene Austrittszahlen schrumpfen die Kirchen in Norddeutschland weiter. Perspektisch werden sie weiter kleiner werden, wollen aber in neue Angebote investieren.

Seltenes Bild: Ein junges Paar in einer Kirche
Seltenes Bild: Ein junges Paar in einer KircheiKlick / Pixabay

Hannover. Die Landeskirche Hannovers hat im vergangenen Jahr rund 50.600 Mitglieder verloren. Damit hat sich der Mitgliederrückgang beschleunigt. 2018 lag er noch bei 47.000 Mitgliedern. Ende 2019 gehörten der Kirche zwischen Elbe und Ems 2,48 Millionen Mitglieder an, wie sie mitteilte. Im Jahr zuvor waren es 2,53 Millionen, ein Rückgang um knapp zwei Prozent. Allein durch Austritte verlor die Landeskirche rund 30.500 Mitglieder. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einem Zuwachs von 16,6 Prozent. (Alles zur Situation in der Nordkirche lesen Sie hier)

Landesbischof Ralf Meister sagte, ihn hätten die neuen Entwicklungen bedrückt und auch enttäuscht. „Die Arbeit der Kirche ist gut. Und wenn man dann solche Zahlen bekommt, dann fasst einen das schon richtig an.“ Kirche sei allerdings die Institution des Optimismus und der tiefen Hoffnung, betonte der Theologe. Auch mit weniger Mitgliedern wolle die Kirche ihrem Auftrag treu bleiben: „Wir arbeiten nicht für uns. Wir arbeiten für diese Welt und für das Miteinander von Menschen in Frieden und in Gerechtigkeit. Und davon nimmt nicht eine Spur ab, wenn Menschen aus der Kirche austreten.“

Landesbischof Ralf Meister
Landesbischof Ralf MeisterMatthias Rietschel / epd

Landebischof Meister kündigte an, dass die Landeskirche ihre digitalen Angebote weiterentwickeln wolle, um an Reichweite zu gewinnen und neue Zielgruppen in den Blick zu nehmen. Im Zuge der Corona-Krise und der Schließung der Kirchen seien in zahllosen Gemeinden auch durch digitale Angebote neue Kommunikationswege und Formen von Gemeinschaft entstanden, die teils beachtlichen Zulauf erlebt hätten.

Finanzchef Rolf Krämer erläuterte, die Landeskirche habe im vergangenen Jahr aufgrund der guten Wirtschaftslage mehr Kirchensteuern eingenommen als im Jahr davor. Der langfristige Trend weise aber deutlich nach unten. Im laufenden Jahr werde die Kirchensteuer wegen der Corona-Pandemie erheblich einbrechen. Deshalb werde die Kirchenleitung der Landessynode für das laufende Jahr eine Haushalts- und Wiederbesetzungssperre empfehlen. Krämer rechnet 2020 mit einem Rückgang von 15 Prozent. In den Folgejahren gehe er allerdings von Einnahmen auf einem stabilen Niveau wie vor der Pandemie aus.

Weniger Austritte in Oldenburg

Die oldenburgische Kirche sorgt sich angesichts steigender Kirchenaustrittszahlen. Zum Stichtag am 31. Dezember 2019 zählte die Evangelisch-Lutherische Kirche in Oldenburg in ihren 116 Gemeinden zwischen der Nordseeinsel Wangerooge und den Dammer Bergen 397.903 Kirchenmitglieder, wie Kirchensprecher Dirk-Michael Grötzsch mitteilte. Das seien 7.350 oder 1,81 Prozent weniger als im Vorjahr.

Die oldenburgische Kirche verzeichne damit erneut einen etwas geringeren Mitgliederverlust als der bundesweite Trend mit rund zwei Prozent. Auch wenn der Rückgang im Oldenburger Land etwas geringer ausfalle, sei dies kein wirklicher Trost, sagte Bischof Thomas Adomeit. „Jede und jeder Einzelne ist ein Verlust für unsere Kirche.“

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig hat im vergangenen Jahr rund 7.300 Mitglieder und damit rund 500 mehr als im Vorjahr verloren. Ende 2019 gehörten der Kirche zwischen Wolfsburg und dem Südrand des Harzes 320.900 Mitglieder an. Im Jahr zuvor waren es 328.093 – ein Rückgang um 2,3 Prozent.

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Die Nordkirche hat im vergangenen Jahr erneut Mitglieder-Einbußen hinnehmen müssen. Nach den Daten wurden zum 31. Dezember 2019 insgesamt 1.939.750 Mitglieder gezählt, 2018 waren es noch 1.989.330, wie die kirchliche Pressestelle mitteilte. Die Mitgliederzahl sank damit um 2,49 Prozent (49.580) gegenüber dem Jahr zuvor. 33.336 Menschen traten 2019 aus der Nordkirche aus, 2018 waren es 27.834 – ein Anstieg um fast 20 Prozent.

Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt nannte die Zahlen „ernüchternd“. Insbesondere die deutlich gestiegenen Kirchenaustrittszahlen „treffen uns tief“, sagte sie. Diese Zahlen würden „viele enttäuschen, die uns finanziell unterstützen, sich in unserer Kirche ehren- und hauptamtlich engagieren und dabei auch nach neuen Wegen suchen, für Menschen da zu sein“.

Nordkirchen-Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt
Nordkirchen-Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-SchmidtMarcelo Hernandez / Nordkirche

Was viele Menschen von einer religiösen Begleitung ihres Lebens in einer christlichen Gemeinschaft erwarten, passe offenbar „nur begrenzt zu dem, was sie bei uns finden und wahrnehmen“, so die Landesbischöfin. Das treffe vor allem auf die 20- bis 35-Jährigen zu, aber zunehmend auch auf die Gruppe der über 60-Jährigen.

In Corona-Krise schnell reagiert

Kühnbaum-Schmidt nannte die aktuellen Daten eine „Herausforderung“: „Wir wollen und können sie nicht beiseiteschieben – das wäre unverantwortlich gegenüber unserem Auftrag und unserer Aufgabe als Kirche.“ Und: „Wir werden deshalb die gegenwärtigen religiösen Sehnsüchte der Menschen, ihre Suche nach Gemeinschaft und ihre ethischen Fragen besser verstehen müssen.“ Die Nordkirche werde „genauer auf die damit verbundenen Themen eingehen“ – zum Beispiel mit Hilfe einer Kasualagentur für kirchliche Amtshandlungen.

In der Corona-Pandemie habe die Nordkirche „schnell und kreativ auf die Suche nach religiöser Orientierung reagiert“, sagte Kühnbaum-Schmidt weiter. Vor allem kurze, digitale Andachts- und Gottesdienstformate seien nahezu viermal mehr wahrgenommen worden als traditionelle Sonntagsgottesdienste vor der Corona-Pandemie. Sie hätten auch neue Kontakte zu Menschen quer durch alle Generationen erschlossen. Ebenfalls groß sei die Resonanz auf seelsorgerliche Angebote gewesen.

Auf dem Prüfstand

Vieles gehöre auf den Prüfstand, kündigte die Landesbischöfin an. In einer pluralen, multireligiösen und von Digitalität geprägten Gesellschaft brauche die Kirche „mehr dialogische Kommunikation und aktive Beteiligung von Menschen aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen“. Zur Situation in der Nordkirche äußerst sich Kristina Kühnbaum-Schmidt in einem Beitrag auf der Seite der Nordkirche ausführlich. (epd)