Kirche nach Corona

Im Interview spricht der Theologe Michael Meyer-Blanck über sein neues Buch, über den synodalen Weg und über eine Kirche, die man sich nach Corona „wieder angewöhnt“.

Ein Online-Konfirmationsgottesdienst im Jahr 2020 in der Christuskirche in Braunschweig. Wegen der Coronamaßnahmen konnten Gottesdienste oft nicht in körperlicher Präsenz stattfinden. „Vor allem im Lockdown ist deutlich geworden, wie sehr man sich nach Interaktion sehnt, also nach Kommunikation unter Anwesenden.“, sagt Michael Meyer-Blanck
Ein Online-Konfirmationsgottesdienst im Jahr 2020 in der Christuskirche in Braunschweig. Wegen der Coronamaßnahmen konnten Gottesdienste oft nicht in körperlicher Präsenz stattfinden. „Vor allem im Lockdown ist deutlich geworden, wie sehr man sich nach Interaktion sehnt, also nach Kommunikation unter Anwesenden.“, sagt Michael Meyer-Blanckepd-bild.de/Jens Schulze

In seinem neuen Buch diskutiert Michael Meyer-Blanck theologische Grundfragen der Kirche. Der emeritierte evangelische Professor für Praktische Theologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn spricht im Interview mit Tilman A. Fischer über Herausforderungen für die Kirche angesichts der Corona-Pandemie und des „Synodalen Weges“.

Herr Meyer-Blanck, haben die Erfahrungen der drei Jahre Corona-Pandemie Ihr Nachdenken über die Kirche verändert?
Michael Meyer-Blanck: Es ist nochmal sehr deutlich geworden, was bei mir auch eine Leitthese ist: Kirche – insbesondere evangelische Kirche – ist Kommunikation. Sie ist auch Institution und Organisation, vor allem aber Inszenierung und Kommunikation. Kommunikation gibt es zum einen ­unter Anwesenden – Niklas Luhmann nennt das dann Interaktion; zum anderen funktioniert sie auch medial, heute vor allem elektronisch. Der Glaube ist nichts, was man nur durch Anschauung oder gedankliches Mitvollziehen für sich zum Klingen bringen kann. Sondern man ist immer ange­wiesen auf andere, seien die nun an Bildschirmen oder mit einem ­physisch zusammen. Vor allem im Lockdown ist deutlich geworden, wie sehr man sich nach Inter­aktion sehnt, also nach Kommunikation unter Anwesenden.

Wie haben diese Erfahrungen die Kirche verändert?
Es ist ein Paradoxon: Man sehnt sich nach Interaktion und gewöhnt sie sich gleichzeitig ab. Vielfach sind die Gottesdienstbesucherzahlen nun im dritten Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie – nachdem Interaktion wieder möglich ist – nicht wieder auf dem Niveau wie vorher. Das ist ein ähnliches Schicksal, wie es die Theater und Opern erlebt haben, die einen teils massiven Rückgang an Besuchern zu verzeichnen haben. Ich hoffe, dass wir wieder auf den alten Stand kommen oder sogar auf einen besseren: Jetzt können wir endlich wieder die Liturgie feiern, uns in den Kreisen und Chören treffen. Das alles kommt hoffentlich wieder und wird noch mehr genossen als vorher. Viele Menschen haben sich die Kirche abgewöhnt – und sie gewöhnen sie sich hoffentlich wieder an.

Was können Gemeinden tun, um es Menschen zu erleichtern, sich Kirche wieder anzugewöhnen?
Einladende Kirche sein, jedem das Gefühl geben: Er und sie ist wichtig, willkommen, wird als Person wahrgenommen und wertgeschätzt. Das ist das große Geheimnis gelingender Gemeinde­arbeit: „Du bist hier willkommen, Du bist wichtig, durch Dich hat die Gemeinde einen wichtigen Zuwachs an Fähigkeiten oder an Spaß und Freude!“ Dabei müssen die Leute einzeln zurückgewonnen werden, wenn sie sich von der Kirche so weit entwöhnt haben, dass es kaum noch Berührungen gibt.

Vor allem katholische Geschwister waren zugleich von den Auseinandersetzungen um den „Synodalen Weg“ und die Missbrauchsfälle betroffen. Macht und Sexualität sind auch Themen Ihres Buches. Wie stellt es sich aus evangelischer Perspektive dar?
Sexualisierte Gewalt ist auf jeden Fall ein Problem – nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für die evangelische. Es ist nichts Schlimmeres denkbar, als ein Pädagoge, der Kinder und Jugendliche fördern soll und ihnen stattdessen Gewalt antut und sie missbraucht. Das ist ein performativer Selbstwiderspruch. Das ist genauso schlimm in der evangelischen Kirche wie in der katholischen – auch wenn die Fallzahl vielleicht geringer ist. Umso gravierende ist dann jeder einzelne Fall, und jeder von ihnen muss strafrechtlich verfolgt und, was das Gedächtnis der Gemeinde ­angeht, offen bearbeitet werden. Fälle gibt es jedenfalls auch in der evangelischen Kirche.

Was ist in Sachen kirchlicher Aufarbeitung evangelischerseits zu tun?
Die EKD muss vor allem zeigen, dass sie bei diesem Thema „an Deck“ ist, dass sie wachsam ist und die Entwicklungen verfolgt, durch empirische Untersuchungen und Studien die Sache aus der Vogelperspektive begleitet, während die Gemeinden und Landeskirchen in ihren Bereichen für Aufklärung zu sorgen haben.

Lassen Sie uns zuletzt nochmal auf die Lage der katholischen Christen zurückkommen: Wie bewerten Sie die Resultate des „Synodalen Weges“ in Deutschland – und die Perspektive ihrer Umsetzung?
Mutig, ich hoffe, mutig genug, ich hoffe, so mutig, dass tatsächlich etwas passiert. Man hat einen langen Weg des Abwägens gewählt und man kann sagen: Demokratie ist, wenn keiner zufrieden ist. Und insofern ist das doch ein demokratisches Stück Wegs gewesen, den der „Synodale Weg“ gegangen ist. Insbesondere das Predigen von Frauen in der Messe, die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren und die Forderung nach Öffnung der Ämter sind Dinge, die mit der gegenwärtigen katholischen ­Praxis in Widerspruch stehen, aber nun keineswegs mehr völlig unmöglich sind. Insofern hoffe ich, dass das ein kleiner Stein im Mosaik „Reform der ­katholischen Kirche“ ist.

Zum Weiterlesen:
Michael Meyer-Blank, Kirche.
Reihe Theologische Bibliothek.
Vandenhoeck&Rupprecht
Göttingen 2022, 345 Seiten, 39 Euro.
www.ekbo.de/hilfe-bei-missbrauch