Kirche im Vorbeigehen

Aufbruch statt Abbruch kirchlicher Traditionen, spirituelle Bereicherung statt althergebrachter Mission – so sehen sich viele Citykirchenprojekte in Deutschland. Bei einer Tagnung haben sie sich ausgetauscht.

Pastor Hans-Jürgen Jung mit den Bremer Stadtmusikanten
Pastor Hans-Jürgen Jung mit den Bremer StadtmusikantenDieter Sell / epd

Bremen. „Gibt es bei Ihnen eine Toilette?“ Gar nicht selten ist es dieses sehr menschliche Bedürfnis, mit dem Gäste in das evangelische Informationszentrum „Kapitel 8“ in Bremen kommen. Andere treibt die Frage um, wo die berühmte bronzene Skulptur der Stadtmusikanten steht oder der Spuckstein zu finden ist, der an die Hinrichtung der Giftmischerin Gesche Gottfried (1785-1831) erinnert. „Da können wir natürlich helfen“, sagt Pastor Hans-Jürgen Jung, der „Kapitel 8“ leitet.
Das Infozentrum ist eine von derzeit 113 Einrichtungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Frankreich, die zum stetig wachsenden ökumenischen Netzwerk deutschsprachiger City-Kirchenprojekte gehören. Vertreter der Initiativen haben sich in Bremen getroffen, um über die Frage nachzudenken, wie sich Kirche kreativ als Teil der modernen Stadtkultur positionieren kann.

Keine Widerstände überwinden

Nicht einfach, denn urbane Kommunikation heißt: Die Passanten, die an Einrichtungen wie dem „Kapitel 8“ vorbeilaufen, haben meist wenig Zeit, gehen ihren eigenen Plänen nach und sind oft kirchenfern. „Ziel ist die kurze, injektionshafte touch & go-Begegnung“, sagt Professor Matthias Sellmann, Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung an der Ruhr-Universität Bochum. 
Kirche to go also. Pastor Heiko Kuschel, einer der Sprecher des Netzwerkes Citykirchenprojekte, nennt das „Kommunikation im Vorübergehen“. Die Arbeit sei nicht auf Mission oder Bindung ausgerichtet, sondern sei ein niedrigschwelliges Angebot für Passanten. „Die Leute sollen bei uns reinkommen, ohne Widerstände überwinden zu müssen.“
Im Bremer „Kapitel 8“ kommen neben Touristen auch Bedürftige und Menschen, die etwas kaufen wollen. „Den Hilfesuchenden können wir sagen, wo Beratungsstellen sind und wo es Unterstützung gibt“, sagt Jung, der das Informationszentrum zusammen mit 20 Ehrenamtlichen managt. Käufer suchen meist christliche Devotionalien: Kleine Engelsfiguren, Grußkarten, Bücher oder Handschmeichler, die gerne zu Geburtstagen verschenkt werden.

Fragen zu Gott im Weltall

Manchmal kommen auch Besucher, die theologische Fragen erörtern wollen: Ist die biblische Offenbarung tragfähig? Hat Gottes Stimme in der gegenwärtigen Gesellschaft noch eine Bedeutung? Wie kann Gott im Weltraum überleben? „Man muss schon gut diskutieren können“, hat Kuschel festgestellt, der im unterfränkischen Schweinfurt regelmäßig mit einer Wagenkirche durch die Fußgängerzone zieht. 
Dass er dabei auch schon mal als Verbrecher beschimpft wurde – geschenkt. Wer sich in einem solchen Projekt engagiere, müsse offen und kommunikativ arbeiten, ist der 48-jährige Theologe überzeugt. „Eine positive Erfahrung mit Menschen aus der Kirche vermitteln, jemandem ein Lächeln ins Gesicht zaubern – das ist es, was mir wichtig ist“, meint der Pastor. Vielerorts wurden dazu Cafés, Buchhandlungen oder eher auf Information ausgerichtete Räume wie das „Kapitel 8“ eingerichtet. Sie tragen Namen wie „Offener Himmel“, „Lichtblick“ oder „Café Auszeit“. Oft sind den Anlaufpunkten Kircheneintrittsstellen angegliedert. Die Läden sind zudem nicht selten Ausgangspunkte für spirituelle oder soziale Stadtführungen. Manche liegen neben kulturell bedeutenden Kirchenbauten, andere abseits des Trubels. (epd)
Info
Das „Kapitel 8“ ist montags bis freitags von 11 bis 17 Uhr und samstags von 11 bis 14 Uhr geöffnet, mehr Infos auch auf www.citykirchenprojekte.org.