Kinofilm über Aristoteles, Dante und eine Liebe abseits der Norm

Nach Philosophen benannt – der Jugendfilm „Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“ spinnt die Geschichte um zwei Jungen im Mexiko der 80er Jahre und die Schwierigkeit des Coming-Out.

Aristoteles (Max Pelayo) sticht im texanischen El Paso nicht nur wegen seines ungewöhnlichen Namens heraus. Äußerlich scheint sich der sportlich-maskuline Junge zwar kaum von Gleichaltrigen zu unterscheiden, doch sowohl sein Umfeld wie auch er selbst spüren, dass er anders ist. Weil der Teenager sich gut anzupassen weiß, wird diese Andersartigkeit zunächst nicht näher erforscht. Im Auftreten ist er darauf bedacht, nicht aufzufallen, doch auf die Provokationen jugendlicher Machos reagiert er so furchtlos und konfrontativ, wie man es von einem richtigen Kerl erwartet. In Wahrheit erspielt er sich damit aber nur Zeit.

Der Soundtrack der episch betitelten Coming-of-Age-Geschichte „Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums“ ist da schon weiter. Gleich in den ersten Minuten ist die Coming-Out-Hymne „Smalltown Boy“ von Bronski Beat zu hören, in dem ein schwuler Junge seiner homophoben Heimat den Rücken kehrt. Auch wenn der Film lange im Vagen bleibt, platziert er immer wieder solche Hinweise auf das Verlangen des Protagonisten. Durch diesen Wissensvorsprung erkennt man in dem verschlossenen Ari jemanden, der sich unnötig selbst quält.

Basierend auf dem gleichnamigen Jugendroman von Benjamin Alire Saenz erzählt der Film, wie Aris Leben durch einen anderen Jungen bereichert und herausgefordert wird. Zwar ist auch Dante (Reese Gonzales) nach einem berühmten Philosophen benannt, doch der kunstinteressierte Träumer entspricht mit seiner sensiblen und zugewandten Art keinem traditionellen Männlichkeitsideal; insbesondere nicht in der bodenständigen mexikanischen Gemeinschaft, der beide Jungen angehören.

Der größte Unterschied zwischen den beiden Hauptfiguren besteht jedoch darin, dass Dante lieber seinem Herzen folgt, als fremde Erwartungen erfüllen zu wollen. Als Ari einmal auf der Straße die Tratschtante der Schule sieht, versteckt er sich mit seinem Freund panisch hinter einem Bushäuschen. Abgesehen von solchen kurzen Momenten der Scham widmet sich Regisseurin Aitch Alberto vorwiegend einer Beziehung, die noch uneindeutig ist, oft sogar einer herkömmlichen Freundschaft ähnelt.

Es ist durchaus eine Stärke von „Aristoteles und Dante“, dass er sich lange um ein starkes Gefühl dreht, das noch nicht genau definiert werden muss. Die beiden sind sich zwar sehr nah, aber eben nur emotional, nicht körperlich. Erst als Dantes Familie für ein Jahr nach Chicago zieht, öffnet sich der mutigere Junge in Briefen seinem Freund. Ari versucht in der Zwischenzeit seine normale Fassade zu wahren, auch deshalb, weil das für ihn leichter ist.

Dass die Geschichte im Jahr 1987 angesiedelt ist, kann man als Vorwand sehen, um Mode und Popmusik von damals noch einmal aufleben zu lassen. Der Schritt in die Vergangenheit führt aber auch in eine Zeit, die von Aids und rigideren Moralvorstellungen geprägt ist. Wie der Film von der Unsicherheit der ersten Liebe und der Angst vor dem Coming Out erzählt, gab es in Variationen zwar schon häufig zu sehen, doch der Regisseurin gelingt es, ihrer Geschichte über weite Strecken die nötige Dringlichkeit zu verleihen. Die Ästhetik ist insgesamt ein wenig glatt und idealisiert, aber die Ängste, Zurückweisungen und gewalttätigen Ausbrüche, von denen der Film auch erzählt, haben eine angemessene emotionale Wucht.

Seine sozialrealistischen Ansätze reichert „Aristoteles und Dante“ dabei mit märchenhaften Elementen an. Wenn die beiden eines Nachts in die Sterne blicken und von ungeahnten Entdeckungen träumen, drückt sich darin ein jugendlicher Optimismus aus, der sich in dem Film auch sonst immer wieder findet. Von der Härte der Außenwelt suchen die Jungen letztlich Zuflucht im Schoß ihrer Familien.

Es ist auffällig, wie sanft und verständnisvoll die Eltern der beiden sind. Die Hoffnung, für die diese stehen, vermittelt auch der Film. Manchmal wirkt es fast, als wolle er am liebsten alle an sich zweifelnden Jugendlichen in den Arm nehmen. Dass „Aristoteles und Dante“ dabei nicht kitschig gerät, liegt daran, dass er nicht allein auf die universelle Botschaft vertraut, dass man erst sich selbst finden müsse, bevor man zueinander finden kann. Denn er demonstriert mit dramatischem Geschick zugleich, wie schwierig es mitunter sein kann, zu sich selbst zu stehen.