Es gibt ein Ritual in Kiel. Die Norddeutschen falten am 6. August Lotosblüten im zentralen Hiroshimapark. Versehen mit einem Licht, lassen sie die Papierblüten in der Abenddämmerung auf dem Kleinen Kiel schwimmen. Für Andreas Zeddel ist das eine Fürbitte. „Die Blüten stehen für die Seelen der Opfer der Atombombenabwürfe“, sagt er.
Andreas Zeddel gehört zum Gesprächskreis für christliche Friedensarbeit in Kiel. Die Gruppe ist Mitglied des Arbeitskreises Städtesolidarität, der die Gedenkveranstaltung organisiert, seit Kiel 1986 den Appell von Hiroshima und Nagasaki „Mayors for Peace“ beigetreten ist. „Das war mitten in der ‚Nachrüstungsdebatte‘“, erinnert sich Benno Stahn vom Zusammenarbeitsausschuss der Friedensbewegung Schleswig-Holstein. Damals gab es dafür eine Unterschriftenaktion in der Landeshauptstadt. „Es geht uns um die Erinnerung daran, welch unermessliches Leid Atomwaffen verursachen. Ihre Zerstörungskraft soll bewusst werden“, sagt Andreas Zeddel.
Die Atombombe war für Deutschland bestimmt
Am 6. August 1945 warf das US-amerikanische Militär um 8.15 Uhr die Atombombe „Little Boy“ auf Hiroshima. Im Zentrum der Explosion erhitzte sich die japanische Stadt auf bis zu 4000 Grad. Drei Tage später fiel „Fat Man“ auf Nagasaki. Innerhalb von vier Monaten starben 200 000 Menschen.
„Wir sollten uns in Deutschland bewusst sein, dass die Waffen für uns bestimmt waren. Das macht das Gedenken noch gruseliger“, sagt Zeddel. Aus seiner christlichen Perspektive sei jeder Mensch ein „gottgewolltes Universum“. „Jede Zerstörung eines Universums sollte uns traurig machen.“
Eine Welt ohne Atomwaffen ist plötzlich umstritten
Der 6. August ist vor allem ein Gedenktag für ihn. „Wir können aber nicht gedenken, ohne Folgen für heute daraus zu ziehen.“ Der Arbeitskreis Städtesolidarität fordere den Abbau der Atomwaffen – bis zu einer atombombenfreien Welt.
Zum 80. Jahrestag der Atombombenabwürfe sei es schwieriger geworden, den Dialog über den Weg dorthin zu führen. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und Donald Trumps Unberechenbarkeit führen zu Aufrüstung in Europa, plötzlich ist der Atomschutzschirm wieder im Gespräch. „Es fordert uns alle heraus, die Kriegsmaschinerie nicht zu fördern, sondern ‚friedenstüchtig‘ zu werden“, sagt Andreas Zeddel. „Wir müssen Sicherheit neu denken.“ In eine sichere Welt führe die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags durch die Bundesregierung – und nicht die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland. „Deutschland sollte für ein atomwaffenfreies Europa werben.“
