Kenianische Ärzte in der Zwickmühle – gehen oder bleiben?

Gloria Kabare ist am Ende ihres sechsjährigen Medizinstudiums, absolviert gerade ihr einjähriges Pflichtpraktikum in einem staatlichen Krankenhaus etwas außerhalb der kenianischen Hauptstadt Nairobi. „Wir sind immer abrufbereit“, berichtet die angehende Ärztin. „Die Arbeitsbelastung ist sehr hoch.“ Oft ist sie alleine für eine Station mit 50 Betten zuständig. Am meisten mache ihr der Dienst in der Notaufnahme und im OP zu schaffen, sagt die junge Frau. „Da arbeiten wir Sonntag bis Sonntag, freie Tage sind selten.“

Besonders ältere Kolleginnen und Kollegen raten ihr immer wieder, ins Ausland zu gehen, berichtet die 27-Jährige. Die Bezahlung, die Ausstattung, die Jobzufriedenheit und die Weiterbildungsmöglichkeiten seien anderswo einfach besser. Am Ende ihres praktischen Jahres könnte Gloria Kabare theoretisch als „Medical Officer“ arbeiten, quasi als Assistenzärztin. Die werden in Kenia aber kaum eingestellt, oft werden Stellen lieber mit medizinischen Fachangestellten besetzt, weil die weniger Geld kosten.

Erst nach der Facharztausbildung habe man wirkliche Chancen, eine gute Stelle im Krankenhaus zu finden, sagt Kabare. Weiterstudieren müsse man sich aber leisten können, denn als Fachärztin in Ausbildung zahle man hohe Studiengebühren, bekomme vom Krankenhaus hingegen nur ein Taschengeld. Einerseits gebe es im Gesundheitssystem nicht genug Geld, andererseits würden dringend mehr Ärzte gebraucht. „Es gibt da ein Missmanagement“, sagt Kabare.

Laut einer aktuellen Analyse der panafrikanischen Wochenzeitung „The Continent“ arbeiten etwa 55.000 in Afrika ausgebildete Ärztinnen und Ärzte in 15 der reichsten Länder. Schon an den Universitäten stellen sich Agenturen und Krankenhäuser aus dem Ausland vor. Es gibt wenig verlässliche aktuelle Zahlen, 2003 war etwa die Hälfte der ausgebildeten und registrierten kenianischen Ärztinnen und Ärzte nicht in ihrem Heimatland tätig.

Für Kenia ist es eine Zwickmühle. Einerseits wirbt die Regierung damit, im Ausland Arbeitsmöglichkeiten für Kenianerinnen und Kenianer zu sichern, auch weil das unterfinanzierte Gesundheitssystem gar nicht alle Absolventen aufnehmen kann. Gleichzeitig muss sie aber versuchen, die Abwanderung von Ärztinnen und Ärzten zu kontrollieren, damit genug zurückbleiben, um zumindest eine grundlegende Versorgung aufrechtzuerhalten.

In Kenia kamen 2021 auf 100.000 Einwohner 27 Ärzte. In Deutschland waren es 450. Insgesamt etwa 450 ausgebildete Krankenpfleger und Ärztinnen braucht es pro 100.000 Einwohnern laut der Weltgesundheitsorganisation, um flächendeckend grundlegende Gesundheitsversorgung anbieten zu können. Je weniger Mediziner eingestellt werden, desto mehr Verantwortung und Arbeit lastet auf Studierenden im praktischen Jahr wie Gloria Kabare.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass 2030 etwa zehn Millionen qualifizierte Kräfte im Gesundheitswesen fehlen werden. Vor allem in Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen auf dem afrikanischen Kontinent verschärft sich die Lage stetig. Wer geht, kommt nur selten zurück. „Das wird in Zukunft zu einem noch größeren Problem werden“, meint Kabare.

Sie engagiert sich im „International Student Surgical Network“, interessiert sich für Wissenschaft, hat ihre Forschungspaper auf Konferenzen in den USA und Frankreich präsentiert. Ein Praktikum hat sie in einem Krankenhaus in Essen im Ruhrgebiet gemacht. Sie weiß, was im Ausland geboten wird und was im kenianischen Gesundheitssektor alles fehlt. „Das Gesundheitssystem muss ausgebaut werden“, sagt die junge Frau. Die Regierung müsse dringend mehr investieren.

Kabare wünscht sich, dass sich der Fokus verschiebt. Hin zu Möglichkeiten in Kenia und anderen afrikanischen Ländern, weg von Europa, den USA, Australien. „Wir werden hier gebraucht“, betont sie.