Keine Ruhe

Über eine Kirche auf Helgoland schreibt Catharina Volkert. Sie ist Redakteurin der Evangelischen Zeitung in Kiel.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „O Jerusalem … Die ihr den Herrn erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe.“ aus Jeremia 62, 6-10
Die erste Kirche, die mir in meiner Kindheit ein Zuhause war, steht auf Helgoland. Meine Erinnerungen an die dortige St.-Nicolai-Kirche sind längst verblasst. Doch ich sehe noch die Modellschiffe vor mir, die an den Wänden hängen, das schlichte Kiefernholz der lackierten Bänke – und ich erinnere mich an ein Strahlen. Vorn, vor dem Altar, hing ein Leuchter. Golden, zwei Kronen übereinander, die eine groß, die andere kleiner. 
Sein Strahlen, seine Größe und sein Gold haben mich als Kind fasziniert. Dazu kamen die beiden Kronen, die Tiefe, die dadurch entstand – welch Ausmaß und Fülle! In meiner Erinnerung glänzt und funkelt der Leuchter mit den Weihnachtsbäumen um die Wette. Heiligabend strahlte sowieso alles, spätestens, wenn Orgel und Trompete zum „Tochter Zion“ ansetzten und die Bescherung immer näher rückte. 
Jahre später lernte ich den Namen dieser faszinierenden Krone: Jerusalemleuchter. Und irgendwann erfuhr ich dann auch, dass das Lied, das diese unbändige Freude in mir auslöste, ebenfalls für Jerusalem steht: Tochter Zion. 
O Jerusalem. Du lässt Gott – und uns – keine Ruhe, so steht es bei Jeremia. Ohne Rast sollen wir, deine Wächter, mahnen und Gott an dich erinnern.
O Jerusalem, du löst Gefühle aus. Die freudige Unruhe meiner Kindheit und ebenso: besorgte, ernsthafte. Du machst mich unruhig, wenn ich Zeitung lese. Wenn ich Nachrichten verfolge. Wenn ich höre, was Israelis sagen und was Palästinenser. Dann schmerzt diese Unruhe. Wächter soll ich dann sein, Gott an sein Versprechen erinnern, dass es gut wird für die Welt. Nur wann? Und wie? O Jerusalem. Du stehst für so viel.
Ganz anders die Unruhe, der Jubel und das Staunen meiner Kindheit, fern von jener Reflexion und dem Wissen um jene Stadt in Israel, um den Zustand unserer Zeit. Die Jerusalemleuchter in unseren Kirchen erinnern daran, dass sich unsere Unruhe lohnt, dass es sich lohnt, wachsam zu sein und dabei Gott und die Welt wach zu halten. Die Leuchter glänzen und strahlen, unfassbar schön, voller Tiefe und Fülle.
Unsere Autorin
Catharina Volkert
ist Redakteurin der Evangelischen Zeitung in Kiel.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.