Keine Fragen, keine Zeugen

„Ronja“ war das erste Kind, das in der Babyklappe abgelegt wurde. Heute werten die Betreiber das Angebot als Erfolg. Kritiker bemängeln das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage.

Heidi Rosenfeld von der Kindertagesstätte "SterniPark" in Hamburg erläutert vor dem Start im April 2000 die Babyklappe mit einer Puppe
Heidi Rosenfeld von der Kindertagesstätte "SterniPark" in Hamburg erläutert vor dem Start im April 2000 die Babyklappe mit einer PuppeStephan Wallocha / epd

Hamburg. Es war ein Schock für die Mitarbeiter einer Hamburger Recyclinganlage: Zwischen Altpapier entdeckten sie im November 1999 auf dem Fließband ein totes Baby. Der kleine Junge war in jenem Jahr das vierte Neugeborene in Hamburg, das ausgesetzt oder getötet wurde. Die Öffentlichkeit war entsetzt. Als Reaktion eröffnete der Verein Sternipark, ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe, am 8. April 2000 die bundesweit erste Babyklappe.

An der Eingangstür eines Kinderhauses im Hamburger Stadtteil Altona richteten die Betreiber hinter einer schlichten Stahlklappe ein Wärmebett ein, in das ein von seinen Eltern unerwünschter Säugling gelegt werden kann. Beim Schließen der Klappe werden Mitarbeiter von Sternipark per Alarm benachrichtigt und nehmen das Findelkind in Empfang. Es wird dann acht Wochen lang zunächst von Pflegeeltern versorgt. In dieser Zeit haben die leiblichen Mütter die Chance, ihr Kind zurückzuholen. Danach wird es zur Adoption freigegeben. „Wir wollen schlicht und ergreifend versuchen, durch ein Angebot, das der Mutter Anonymität zusichert, Leben zu retten“, erklärte Sternipark-Geschäftsführer Jürgen Moysich bei der Eröffnung.

Schon nach wenigen Wochen wurde das erste Kind in der Babyklappe abgelegt: ein neun Wochen altes Mädchen, das nicht in einem Krankenhaus geboren war und von seinen Findern „Ronja“ getauft wurde. Dem Beispiel aus Altona folgten viele Projekte. Nach Angaben von Sternipark gibt es heute rund 100 Babyklappen in ganz Deutschland.

Kritik vom Ethikrat

Die Babyklappen sind ebenso wie die in manchen Krankenhäusern angebotenen anonymen Geburten umstritten. Für das Angebot gibt es keine gesetzliche Grundlage, kritisiert Michael Heuer vom Kinderhilfswerk terre des hommes. Es verletzte vor allem das Recht des Kindes, seine Herkunft zu kennen. „Das ist ein ganz hohes Gut.“ Alle Versuche, Babyklappen zu legalisieren, seien bislang gescheitert. Demzufolge gebe es weder Richtlinien noch verbindliche staatliche Kontrollen der Anbieter. Nicht zuletzt verfehlten Babyklappen ihr eigentliches Ziel: „Die Kindstötungen in Deutschland sind trotz der Einrichtung von Babyklappen nicht zurückgegangen“, sagt Heuer. Die Zahlen schwankten seit Jahren.

Der Deutsche Ethikrat empfahl im November 2009 mehrheitlich, die bestehenden Angebote von Babyklappen und zur anonymen Geburt aufzugeben. Sie seien „ethisch und rechtlich sehr problematisch“, weil sie das Recht des Kindes auf das Wissen um seine Herkunft verletzten. Als Alternative schuf der Gesetzgeber 2014 die Möglichkeit zur vertraulichen Geburt. Dabei werden Frauen im Krankenhaus zwar anonym betreut, müssen aber einen Herkunftsnachweis hinterlassen, der versiegelt aufbewahrt wird und von dem Kind ab seinem 16. Lebensjahr eingesehen werden kann. Entgegen vorheriger Versprechungen verbot das Gesetz jedoch nicht die Babyklappen und Einrichtungen zur anonymen Geburt.

Wie früher in Klöstern

Vor allem die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände sprachen sich immer wieder für das Angebot von Babyklappen aus. Die evangelische Bischöfin Maria Jepsen erklärte nach der Eröffnung in Hamburg, dass es sich bei der anonymen Abgabe von Kindern um eine bewährte Möglichkeit handele, die es früher bereits in Klöstern gegeben habe. Der katholische Weihbischof und Ethik-Experte Anton Losinger betonte, dass Babyklappen im Extremfall das Leben neugeborener Kinder retten könnten. Zugleich warnte er vor einem Missbrauch der Einrichtungen. Sie dürften keine Versuchung bieten, dass Kinder „sozial entsorgt werden“ und müssten extremen Belastungssituationen vorbehalten bleiben.

In der bis heute bestehenden Babyklappe in Hamburg-Altona wurden nach den jüngsten veröffentlichten Zahlen von 2018 bislang 51 Kinder abgelegt. Medienberichten zufolge ist die Zahl der abgegebenen Babys rückläufig. Bei Sternipark hat man für ein Interview zur aktuellen Situation keine Zeit. Auf seiner Internetseite wertet der inzwischen zur GmbH gewordene Träger die Babyklappen als Erfolg und wirbt mit dem Slogan: „Keine Fragen, keine Zeugen, keine Polizei“. (KNA)