Kardinal: Priester begeht Missbrauch als Mitmensch und Bürger

Der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller weist einen Generalverdacht gegen Priester im Missbrauchsskandal zurück. Er sieht darin eine antikirchliche Ideologie, um Unschuldige pauschal vorzuverurteilen.

Der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller lehnt eine eigene Strafgerichtsbarkeit der Kirche gegenüber ihren Mitgliedern ab. Diese könne kein Verein oder Körperschaft öffentlichen Rechts in einem modernen demokratischen Rechtsstaat beanspruchen, sagte der frühere Präfekt der römischen Glaubenskongregation im Interview des Portals kath.ch (Freitag).

Strafrechtlich sei etwa Kindesmissbrauch ein Verbrechen, das von einem staatlichen Gericht geahndet wird. Im Sinne des Kirchenrechts sei es dagegen ein Vergehen gegen die Würde des Priesteramtes. Daher erhalte ein Missbrauchstäter sowohl eine weltliche als auch eine kirchliche Strafe – für zwei verschiedene Tatbestände. Den Missbrauch habe der Täter ja “nicht als Priester begangen, sondern als Mitmensch und Bürger”, argumentiert er.

Den Vorwurf, die männerzentrierte und geschlossene Hierarchie des Priestertums begünstige das Ausmaß der kirchlichen Missbrauchsskandale, nennt Müller “eine Ideologie, die auf antikirchlichen Vorurteilen aufbaut”. Kindesmissbrauch komme statistisch zu 95 Prozent im familiären und jugendpädagogischen Bereich vor. Priester stünden aber unter Generalverdacht.

Dass für seine Taten nicht der individuelle Mensch, sondern das Kollektiv, dem er angehört, schuldig gemacht werde, sei “typisch für die alten und neuen marxistischen Ideologien”, so der Kardinal. Den “Appell an Emotionen” nennt Müller einen “berühmten Trick”, der eine Entlarvung solcher antiklerikaler Ideologien aushebele. “Jeder anständige Mensch leidet mit den Opfern jedweder Untat. Aber wir können auch nicht gefühllos bleiben gegenüber denen, die unschuldig mit Vorwürfen überzogen wurden und in Mühlen der Justiz geraten sind.”

Kardinal Gerhard Ludwig Müller war von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg und von 2012 bis 2017 Präfekt der Glaubenskongregation. Von 1986 bis 2002 lehrte er an der Universität München das Fach Dogmatik.