Nach der Schoah wäre die Bundesrepublik entwurzelt gewesen ohne jüdisches Leben und jüdische Kultur, sagt der Kanzler. Er würdigt die Arbeit des Zentralrats der Juden – und ruft zum Einsatz gegen Antisemitismus auf.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat den Zentralrat der Juden in Deutschland als “Lebensader der demokratischen Kultur” und unersetzbaren Partner der Bundesregierung gewürdigt. “Die Bundesrepublik wäre für immer entwurzelt gewesen ohne jüdisches Leben, ohne jüdische Kultur in unserem Land”, sagte Merz bei einem Empfang zum 75-jährigen Bestehen des Zentralrats am Mittwochabend in Berlin. “Und wenn wir darum heute 75 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland feiern, dann feiern wir auch das Geschenk, dass Jüdinnen und Juden hier wieder Heimat gefunden haben. Trotz aller Widrigkeit, und obwohl der Antisemitismus nie fort war aus Deutschland.”
Seit dem “barbarischen Angriff” der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 werde Judenhass “lauter, offener, unverschämter, gewaltsamer”, betonte Merz. Ihn entsetze und beschäme das. Antisemitische Rhetorik werde normalisiert. Der Kanzler erinnerte auch an die Ausladung der Münchner Philharmoniker mit ihrem israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Festival in Belgien, wo sie am Donnerstag hätten auftreten sollen.
Am 19. Juli 1950 war der Zentralrat in Frankfurt am Main gegründet worden – nur fünf Jahre nach dem Ende der Schoah. Mittlerweile sitzt er in Berlin. Zunächst war der Zentralrat für die wenigen überlebenden Jüdinnen und Juden eine Interessenvertretung für die Übergangszeit bis zur Ausreise. Doch etliche Jüdinnen und Juden blieben in Deutschland, und der Zentralrat entwickelte sich zu einer etablierten Interessenvertretung der jüdischen Gemeinschaft.
Heute ist er Dachverband von 105 Gemeinden mit etwa 100.000 Mitgliedern. Zum Zentralrat gehören Institutionen wie die Jüdische Studierendenunion Deutschland, das Militärrabbinat und die geplante Jüdische Akademie in Frankfurt.
Der Zentralrat habe sich etwa für rechtliche Weichenstellungen zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts eingesetzt, sagte Merz. Er habe die Annäherung zwischen der Bundesrepublik und dem Staat Israel nach der Schoah begleitet. Auch habe er Jüdinnen und Juden, die ab 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland einwanderten, helfend zur Seite gestanden. Jüdisches Leben habe sich in Deutschland wieder “beheimaten” können.
Aktuell gerate die Idee einer offenen Gesellschaft unter Beschuss, kritisierte Merz. “Und mit ihr das normative Fundament Deutschlands, Israels, der freiheitlichen Welt insgesamt: Menschenwürde. Universalismus. Demokratie. Das Gebot der Toleranz.” Dieses Fundament speise sich “ganz wesentlich” aus den jüdisch-christlichen Traditionen. “Ich möchte den Jüdinnen und Juden in Deutschland heute sagen: Ohne Sie kann es keine gute Zukunft für die Bundesrepublik geben.”