Kann ich der Kirche noch vertrauen?

Leser Michael Lehmler ist Mitglied der katholischen Kirche und hat selbst Missbrauch in der Kirche erfahren müssen. Angesichts der schleppenden Aufarbeitung und Aufklärung der Gewalttaten gerät er ins Zweifeln – aber nicht über seinen Glauben.

Von Michael Lehmler

Über den an mir verübten Missbrauch und den Missbrauch in der katholischen Kirche kann ich kaum sprechen. Zu groß ist der Schmerz, zu groß ist die Wut und die Empörung – manchmal maß- und endlos, himmelweit weg von Versöhnung und Erlösung. Dann kommen die Zweifel und Fragen an mein Selbst und die Welt und Gott. Immer das große Unverständnis. Warum ich? Bin ich schuld? Hätte ich mich mehr wehren müssen? Kann ich Gott und der Kirche noch vertrauen?

Zurzeit greift mich das Unvermögen und der Unwille der Kirche von Köln zur Aufklärung der Missbrauchsaufarbeitung dermaßen an, dass ich nicht guten Gewissens Gottesdienst feiern kann. Dafür ist die Verärgerung über den Erzbischof zu massiv. Das ist eine Art Notwehr und Protest.

Ich kann nicht verstehen, dass niemand der Verantwortlichen aufsteht, unabhängig von Gutachten und Paragrafen, und, falls dem so ist, ihre Schuld zugibt und Verantwortung dafür übernimmt. Stattdessen verhält die Kirche sich wie viele, es wird nur zugegeben, was nachgewiesen wurde. Der Fokus ändert sich so wieder. Nicht mehr die Betroffenen sind der Mittelpunkt, sondern das Heil der (Mit-) Ermöglicher und Vertuscher ist das vorrangige Anliegen.

Ich brauche Gott und Zeit, bis das Herz wieder bereitet ist für die Feier der Freude. Schnelle Antworten mag ich nicht, ebenso wenig das Überspringen des Leids in göttliche Sphären. Wie oft geht die katholische Kirche zu schnell vom Karfreitag in das Osterlicht – als gäbe es den Karsamstag nicht?

Trotzdem übersieht mich der Herr nicht. Er liebt mich mit ewiger Liebe und das ist das Größte. Hinter all den Wunden und Mauern flackert diese Gewissheit auf. Dann atme ich auf und ein und weiß mich geborgen in Gottes Händen.