Jurist sieht Völkermord-Eilantrag gegen Deutschland kritisch

Deutschland steht vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen wegen des Vorwurfs, Beihilfe zu einem möglichen Völkermord an den Palästinensern zu leisten. Ein Jurist glaubt aus mehreren Gründen nicht an einen Erfolg.

Der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon zweifelt an einem Erfolg des nicaraguanischen Eilantrags gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. „Meiner Meinung nach ist die Klage Nicaraguas aus verfahrensrechtlichen Gründen zum Scheitern verurteilt“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Montag).

Deutschland muss sich in Den Haag gegen den Vorwurf verteidigen, Beihilfe zu einem mutmaßlichen Völkermord durch Israel im Gazastreifen zu leisten. In einer mündlichen Anhörung am Montag will das autoritär regierte Nicaragua Argumente für diese Auffassung darlegen: Deutschland unterstütze Israel politisch, finanziell und militärisch, obwohl es sich bewusst sei, dass die betreffenden Rüstungsgüter völkerrechtswidrig eingesetzt würden, insbesondere für einen Genozid an Palästinensern. Außerdem wirft Nicaragua der Bundesrepublik die Aussetzung von Zahlungen an das Palästinenser-Hilfswerk UNRWA vor.

Rechtsvertreter Deutschlands werden am Dienstag darauf antworten. Anschließend muss das oberste UN-Gericht entscheiden, ob es vorläufige Maßnahmen gegen Deutschland anordnet, bis ein Urteil gefällt ist. Deutschland kann vor dem UN-Gericht nur darlegen, wie es die Völkermord-Konvention allgemein auslegt.

„Beihilfe ist eine Tat, die eine Haupttat voraussetzt. Und die Haupttat, in diesem Fall Völkermord, muss erst einmal festgestellt werden, bevor Beihilfe festgestellt werden kann“, sagte Talmon der Zeitung. „Falls Nicaragua einen Teilerfolg bei den einstweiligen Maßnahmen erringt, dann nur wegen der in diesem Verfahrensstadium extrem niedrigen Beweisanforderungen.“

Das sehe im Hauptsacheverfahren anders aus: „In diesem Verfahren liegt die Beweispflicht bei Nicaragua, und die Anforderungen bei Völkermord sind extrem hoch: Nicaragua müsste nachweisen, dass Deutschland wusste, dass Israel beabsichtigt, Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen zu begehen, und dass die gelieferten Waffen zu Völkermordhandlungen eingesetzt werden. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass Nicaragua dies gelingen wird“, so der Experte.

Zum Vorwurf, dass Deutschland UNRWA-Zahlungen ausgesetzt habe, sagte Talmon: „Die temporäre Aussetzung von freiwilligen Zahlungen an eine Hilfsorganisation stellen noch keine Teilnahme an einem Völkermord dar.“